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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Jonathan Kellerman
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nahm rasch zu, bis ich wöchentlich siebzig Stunden arbeitete und wie eine gestörte Arbeitsameise zwischen Krankenhaus und Praxis hin und her rannte. Ich lernte die Oasen der Steuerflucht kennen, nachdem ich festgestellt hatte, daß ich ohne Abschreibungsmöglichkeiten dem Finanzamt jährlich mehr als ein durchschnittliches Jahreseinkommen bezahlte. Ich engagierte Buchhalter und Steuerberater, feuerte sie wieder, kaufte mir noch vor dem Boom Grundbesitz in Kalifornien, verkaufte die Grundstücke mit skandalösem Profit, kaufte mir mehr. Dann wurde ich auch noch der Verwalter meines eigenen Apartmenthauses - wieder zusätzliche fünf bis zehn Arbeitsstunden die Woche. Ich unterstützte ein Bataillon von Dienstleistungsbetrieben- Gärtner, Klempner, Maler und Elektriker. Und ich bekam viele Kalender zum neuen Jahr.
    Mit zweiunddreißig hatte ich mir eine Nonstop-Arbeitsdiät verpaßt, die mich täglich bis zum Punkt völliger Erschöpfung trieb, wonach ich ein paar Stunden unruhig schlief, um tags darauf noch mehr zu arbeiten. Ich ließ mir einen Bart wachsen, um die fünf Minuten zu sparen, die ich jeden Morgen fürs Rasieren brauchte. Wenn ich schon einmal daran dachte, etwas zu essen, dann kam die Nahrung aus den Verkaufsautomaten im Krankenhaus, und ich stopfte mir den Mund voll, während ich durch Korridore eilte, mit wehendem, weißem Kittel, einen Notizblock in der Hand wie irgendein verrückter Geschwindigkeitsfanatiker. Ich war ein Mann mit einem Auftrag, wenn auch einem ohne Sinn und Verstand. Ich war erfolgreich.
    In solch einem Leben gab es kaum Platz für Romanzen und Liaisonen. Ich ergab mich gelegentlich hektischen und sinnlosen erotischen Begegnungen mit Schwestern, weiblichen Kollegen, graduierten Studentinnen und Sozialarbeiterinnen. Nicht zu vergessen die über vierzigjährige, langbeinige, blonde Sekretärin, die mich gelegentlich zwanzig Minuten hinter die mit Karteikästen gefüllten Regale im Archiv des Krankenhauses zerrte.
    Bei Tag waren es Besprechungen des Komitees, Papierkram, der Versuch, das kleinliche Gemecker des Personals zu beschwichtigen, und wieder Papierkram. Abends ging es darum, die Flut der elterlichen Beschwerden zu bearbeiten, an die sich ein Kindertherapeut gewöhnen muß, und den Kleinen, die dazwischenstehen, Schutz und Trost zu bieten. In meiner Freizeit kümmerte ich mich um die Reklamationen meiner Mieter, blätterte das Wall Street Journal durch, um meine Gewinne und Verluste zu überprüfen, und sortierte Berge von Post, die, wie es schien, zum Großteil von weißbehemdeten Gaunern mit Zahnpastagebiß stammten, welche offenbar Tag und Nacht darüber nachdachten, wie sie mich zum reichen Mann machen konnten. Ich wurde zum ›VIP der Jungunternehmer‹ gewählt von einer Gesellschaft, die mir ihr Hundertdollar Who’s Who im Ledereinband andrehen wollte, ein Werk, in dem nur ähnlich geehrte Jungunternehmer verzeichnet waren. Es gab Zeiten mitten am Tag, wo ich fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen, aber ich schob die Gedanken daran beiseite, war zu beschäftigt, als daß ich mich um mich selbst kümmern konnte.
    Und mitten in diesem Mahlstrom tauchte Stuart Hickle auf. Hickle war ein stiller Mann, ein pensionierter Labortechniker. Er sah aus wie ein netter Nachbar in einer Vorabend-Fernsehserie: groß, etwas gebückt, Mitte fünfzig und ein Liebhaber von Strickjacken und alten Bruyerepfeifen. Seine Brille mit dem Schildpattgestell saß auf einer schmalen, spitzen Nase und vor gütigen Augen, welche die Farbe von Abspülwasser hatten. Er zeigte ein freundliches Lächeln und onkelhafte Manierismen.
    Außerdem hatte er ein ungesundes Verlangen, die Geschlechtsteile kleiner Kinder zu befummeln. Als ihn die Polizei schließlich schnappte, konfizierte sie über fünfhundert Farbphotos von Hickle, wie er es mit zwei-, drei-, vier- und fünfjährigen Kindern, Jungen und Mädchen, trieb, mit Weißen, Schwarzen und Kindern des spanischen Bevölkerungsanteils. Was Geschlecht oder Rasse betraf, war er nicht wählerisch. Nur das Alter und die Hilflosigkeit waren für ihn ausschlaggebend. Als ich die Photos sah, war es nicht so sehr die graphische Nacktheit, die mich tief berührte, obwohl auch das auf seine Weise abstoßend genug wirkte. Es war der Ausdruck in den Augen der Kinder - eine erschreckte, aber zugleich wissende Verletzlichkeit. Ein Ausdruck, der sagte: Ich weiß, daß das nicht richtig ist. Warum geschieht mir das? Dieser Ausdruck war auf jedem Photo, selbst auf dem
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