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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Jonathan Kellerman
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morgen sah er wie eine überdimensionale Stoffpuppe aus, die sich auf meine Kissen geworfen hatte - eine Puppe mit einem breiten, netten Gesicht, das fast jungenhaft wirkte, wenn man von den Akne-Narben absah, die seinen Teint pfefferten, und von den müden Augen. Diese Augen waren von einem überraschenden Grün, allerdings meist rotgerändert und gekrönt von struppigen dunklen Brauen, darüber ein an die Kennedys erinnernder, an den Seiten hoch angesetzter Schopf von dichtem schwarzem Haar. Die Nase groß mit hohem Nasenrücken, die Lippen voll und fast kindlich weich. Koteletten, wie sie mindestens seit fünf Jahren aus der Mode waren, breiteten sich an der Seite der narbigen Wangen nach unten aus.
    Wie gewöhnlich trug er Brooks Brothers-Ersatz: einen olivgrünen Gabardineanzug, ein gelbes Button-down-Hemd, eine grün-golden gestreifte Krawatte und ochsenblutfarben emaillierte Kragenspitzen. Die Wirkung war so albern wie W. C. Fields in einem knallroten Unterhemd. Er ignorierte mich und konzentrierte sich auf die Pizza. »Freut mich wirklich, daß du mich schon zum Frühstück besuchst.«
    Als sein Teller leer war, fragte er: »Und wie geht’s dir, Kumpel?«
    »Bis jetzt ist es mir gutgegangen. Was kann ich für dich tun, Milo?«
    »Wer sagt denn, daß du etwas für mich tun sollst?« Er bürstete mit der Hand die Brösel vom Schoß auf den Teppich. »Vielleicht ist es ja auch nur ein Freundschaftsbesuch.«
    »Du platzt unangemeldet hier herein und hast deinen berühmten Bluthundblick - das kann kein Freundschaftsbesuch sein.«
    »Alex, du verfügst wirklich über intuitive Fähigkeiten.« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als ob er es ohne Wasser waschen würde. »Du mußt mir einen Gefallen tun«, sagte er dann.
    »Nimm ruhig meinen Wagen, ich brauche ihn erst am Spätnachmittag wieder.«
    »Nein, diesmal ist es etwas anderes. Ich brauche deine fachmännische Hilfe.«
    Daraufhin mußte ich erst einmal tief durchatmen. »Du gehörst längst nicht mehr in die von mir behandelte Altersgruppe«, sagte ich dann. »Und außerdem bin ich nicht mehr in meinem Beruf tätig.«
    »Es ist kein Scherz, Alex. Ich hab’ einen von deinen Kollegen auf einer Bahre im Leichenhaus liegen. Ein Kerl namens Morton Handler.«
    Ich konnte mich an den Namen erinnern, nicht an das Gesicht. »Aber Handler ist Psychiater.«
    »Psychiater, Psychologe- eine semantische Haarspalterei. In erster Linie ist er tot. Durchgeschnittene Kehle, ein bißchen ausgeweidet. Zusammen mit seiner Freundin, ähnlich bearbeitet, aber noch schlimmer- sexuelle Verstümmelungen, und obendrein die Nase abgesäbelt. Der Ort, wo das stattgefunden hat, seine Wohnung - ein abattoir.«
    Abattoir. Aus dem Französischen. Das Schlachthaus. Milos M. A. in Literatur zahlte sich aus. Ich stellte meine Kaffeetasse hin.
    »Okay, Milo, du hast mir den Appetit verdorben. Jetzt sag mir, was das alles mit mir zu tun haben soll.« Er fuhr fort, als hätte er mich gar nicht gehört. »Ich bin um fünf Uhr früh dazugerufen worden. Ich sage dir, ich habe stundenlang knietief in Blut und Dreck gewatet. Und gestunken hat es da drinnen - die Menschen riechen nicht gut, wenn sie sterben. Damit meine ich nicht den Verwesungsgeruch, sondern einen Gestank, der lange vor der Verwesung einsetzt. Ich dachte, ich hätte mich daran gewöhnt. Aber jedesmal, wenn ich ‘ne Nase davon abbekomme, dreht sich mir der Magen um.« Dazu stach er sich mit dem Zeigefinger in den Bauch. »Und das um fünf Uhr früh. Ich hab’ meinen Freund zu Hause im Bett lassen müssen; der hat sich geärgert, kann ich dir sagen. Und mein Kopf fühlt sich an, als ob er implodieren müßte. Blutige Fleischbatzen um fünf Uhr früh. Jesses.«
    Er stand auf und schaute zum Fenster hinaus, über die Wipfel der Pinien und Eukalyptusbäume in Richtung auf den Ozean. Von meinem Platz aus konnte ich den Rauch eines weit entfernten Feuers in trägen Wirbeln nach oben steigen sehen. »Du hast es wirklich schön hier oben, Alex. Langweilt dich das nicht manchmal, einfach hier zu sein im Paradies und gar nichts zu tun?«
    »Keine Spur von Langeweile.«
    »Ja, kann ich mir vorstellen. Ich nehme an, du willst jetzt nichts mehr hören über Handler und dieses Mädchen, oder?«
    »Hör schon auf, deine passive Aggressivität auszuspielen, Milo, und spuck es endlich aus.«
    Er drehte sich um und schaute zu mir herunter. Das große, auf sympathische Weise häßliche Gesicht zeigte eine neue Stufe der Erschöpfung an.
    »Ich
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