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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Jonathan Kellerman
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Schußwaffe lag mit dem Kolben nach unten da, wobei die Mündung des Laufs nur wenige Zentimeter von Hickles offenem Mund entfernt war. An der Wand hinter dem Kopf waren Spritzer von Gehirnmasse, Blut und Knochensplittern zu sehen. Ein scharlachroter Fleck zierte wie kindliche Fingerabdrücke den zartgrünen Druck der Tapete. Weiteres Scharlachrot lief aus seiner Nase, seinen Ohren und seinem Mund. Es roch nach Feuerwerkskörpern und menschlichem Kot. Ich ging ans Telefon und wählte die Nummer der Polizei.
     
    Das Urteil des Coroners lautete auf Tod durch Selbstmord. In der letzten Version hieß es ungefähr so: Hickle war bei seiner Festnahme zutiefst in Depressionen verfallen und sah sich nicht in der Lage, die Erniedrigung des Prozesses über sich ergehen zu lassen, daher hatte er den Ausweg des Samurai gewählt. Er selbst hatte sich als Bill Roberts mit mir verabredet, er hatte die Tür aufgebrochen und sich dann das Gehirn aus dem Schädel gepustet. Als mir die Polizei das Band mit seinem Geständnis vorspielte, klang die Stimme ähnlich der von diesem ›Roberts‹ - zumindest ähnlich genug, daß ich die Möglichkeit einräumen mußte, sie könnte unter Umständen identisch sein. Auf die Frage, warum er sich für seinen Schwanengesang ausgerechnet meine Praxis ausgesucht hatte, konnte der untersuchende Trupp von Psychiatern ebenfalls eine leichte Antwort finden: Da ich die Rolle des Therapeuten der Opfer übernommen hatte, war ich eine symbolische Vaterfigur, die den von ihm angerichteten Schaden wiedergutzumachen versuchte. Sein Tod war daher eine ebenso symbolische Reuehandlung. Finis.
    Aber selbst Eigentötung- vor allem solche, die mit Verbrechen in Verbindung stehen - müssen untersucht werden, bis es keine offenen Enden mehr gibt, und da setzte nun ein Wettbewerb im Schwarzer-Peter-Spielen zwischen der Polizei von Beverly Hills und der von Los Angeles ein. Beverly Hills räumte zwar ein, daß der Selbstmord auf ihrem Hoheitsgebiet begangen worden war, erklärte aber, daß es sich dabei nur um eine Erweiterung der ursprünglichen Verbrechen gehandelt habe, die in West Los Angeles stattgefunden hatten. Punktum. West Los Angeles hätte gern zurückgeschlagen, aber der Fall erschien noch immer in den Zeitungen, und ein bissiger Kommentar über Drückebergerei wäre so ziemlich das letzte gewesen, was sich die Polizei gewünscht hätte. Daher blieb der Fall letztlich an West Los Angeles hängen. Das heißt, er blieb speziell an Milo Bernard Sturgis, dem dortigen Leiter der Abteilung Raub und Tötungsdelikte, hängen.
     
    Meine Probleme setzten erst verspätet ein - etwa eine Woche, nachdem ich Hickles Leichnam gefunden hatte. Eine durchaus übliche Verzögerung, weil ich die ganze Sache zunächst verdrängt hatte und außerdem mehr als nur ein bißchen betäubt war. Da ich selbst Psychologe war, rechnete man damit, daß ich damit fertigwerden würde, und niemand stellte auch nur Fragen nach meinem Wohlbefinden.
    Ich selbst riß mich zusammen, als ich die Kinder und ihre Familien sah, und schuf eine Fassade, die kühl, wissend und gelassen wirkte. Ich sah so aus, als ob ich mich gefaßt hätte. Bei der Therapiesitzung sprachen wir über Hickles Tod, wobei es mir nur um sie ging, darum, wie sie damit fertigwurden. Die letzte Sitzung war eine Party, bei der mir die Familien dankten, mich umarmten und mir eine gerahmte Kopie von Braggs’ Der Psychologe schenkten. Es war eine nette Veranstaltung mit viel Gelächter und viel Flecken und Asche auf den Teppichen, vor allem, weil sie sich darüber freuten, daß es ihnen wieder besserging und daß der Übeltäter den verdienten Tod gefunden hatte.
    Ich kam kurz vor Mitternacht nach Hause, kroch zwischen die Laken und fühlte mich hohl, kalt und hilflos wie ein verwaistes Kind auf einer einsamen Straße. Und am nächsten Morgen setzten die Symptome ein.
    Ich wurde zappelig und hatte Mühe, mich zu konzentrieren. Die Episoden von Atemnot häuften und verstärkten sich. Ich wurde unerklärlicherweise ängstlich, hatte ein ständiges Übelkeitsgefühl im Magen und im Darm und litt an Todesahnungen.
    Schon begannen mich die Patienten zu fragen, ob es mir gutgehe. Als es soweit war, muß ich sehr deutlich unwohl ausgesehen haben, denn es braucht einen heftigen Anstoß, daß sich ein Patient für irgend etwas außerhalb seiner Leiden interessiert.
    Ich hatte genug studiert, um zu wissen, was da vor sich ging, aber nicht genügend Einsicht, um richtig darauf zu
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