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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds
Autoren: Chuck Wendig
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nichts. Der Lastwagenfahrer sitzt einfach da und regt sich auf. Seine Schultern spannen sich an. Er wirkt angepisst. Weiß er, dass sie gerade gelogen hat? Ist das der Moment, in dem er in die Eisen steigt, sie durch die Windschutzscheibe fliegen lässt, weil sie ihren Sicherheitsgurt nicht angelegt hat, und dann ihren kaputten Körper auf dem durchnässten Schotter schändet?
    Bamm! Er schlägt mit der Hand gegen das Lenkrad.
    Miriam hat nichts Oberkluges parat. Eine langsame Erkenntnis beschleicht sie: Mit diesem Typen kann sie nicht fertigwerden. Er wird sie wie eine Wanze zerquetschen.
    »Verdammte Arschlöcher!«, sagt er.
    Sie verengt die Augen. »Was? Wer?«
    »Männer.«
    »Du bist schwul?« Es ist die Art, wie er es sagt.
    Er dreht den Kopf herum und richtet seinen Blick auf sie. »Schwul? Was? Nein!«
    »Ich dachte nur ...«
    »Männer wissen nicht, wie gut sie es haben. Männer sind im Grunde ... Kinder. Schweine.«
    »Schweinekinder«, bietet Miriam an, ein dezenter Nachtrag.
    »Wir sehen nie, was direkt vor uns steht. Die Frauen, die so gütig sind, in unserem Leben zu sein, die behandeln wir einfach wie Abfall. Es ist scheiße. Schlichtweg scheiße. Und Männer, die Frauen schlagen? Die sie ausnutzen? Die es nicht nur nicht schaffen, zu schätzen, was sie haben, sondern einfach nur ... missbrauchen, was ihnen gegeben wurde? Meine Frau – als sie mich verließ ... Ich wusste nicht zu schätzen ...«
    Wieder schlägt er das Lenkrad.
    Das ist der Punkt, an dem Miriam beschließt, dass sie diesen Mann mag.
    Es ist das erste Mal seit ... Jahren, dass sie sich auch nur das winzigste bisschen zu jemandem hingezogen fühlt. Er hat etwas an sich: süß, traurig, angeschlagen. Sie weiß, an wen er sie erinnert (Ben, er erinnert dich an Ben) , aber daran will sie nicht denken, und sie verdrängt diese Erinnerung in die dunkelsten Winkel ihres Gehirns.
    Und dann kann sie nicht anders. Sie muss es wissen. Sie muss es sehen. Es ist ein Zwang. Eine Sucht. Sie bietet ihm die Hand an.
    »Ich heiße Miriam.«
    Aber er ist immer noch wütend. Er nimmt die angebotene Hand nicht.
    Scheiße , denkt sie. Mach schon! Nimm sie! Schüttle sie! Ich muss es sehen!
    »Miriam ist ein hübscher Name«, sagt er.
    Zögernd zieht sie die Hand zurück. »Freut mich, dich kennenzulernen, Lou.«
    »Louis, nicht Lou.«
    Sie zuckt die Schultern. »Dein Truck, dein Name.«
    »Tut mir leid«, kommt er ihr entgegen. »Ich will nicht nörgeln. Es ist nur ...« Er winkt ab. »Sind ein paar lange Wochen gewesen. Komme gerade von einer Fuhre nach Cincinnati zurück und muss jetzt nach Charlotte, um eine andere Ladung aufzunehmen.«
    Er holt durch die Nase tief Luft, als ob er versucht, seinen Mut zusammenzunehmen.
    »Die Sache ist die, ich habe ein paar Tage da unten, bevor ich mir die nächste Fuhre schnappe. Ich krieg nicht allzu viele Tage frei, normalerweise fahr ich schnurstracks durch, aber ... ich hab mir überlegt ... Vielleicht bist du ja dort unten in der Gegend. Es ist nur eine Stunde südlich von hier. Und vielleicht, wenn du dort in der Gegend bist, und du hast einen freien Abend – na ja. Wir könnten essen gehen. Uns einen Film ansehen.«
    Sie streckt die Hand aus. »Abgemacht!«
    Er nimmt sie nicht, und Miriam fragt sich, wie dreist sie noch sein muss. Hochlangen und ihm ins Ohr kneifen? Sie braucht nur Haut an Haut, um es zu sehen.
    Doch dann lächelt er und nimmt ihre Hand in seine, und ...
    Der Raum in dem Leuchtturm ist komplett verglast. Eine Fensterscheibe ist herausgebrochen, und der Wind heult wie verrückt durch das Loch. Donner grollt in der Ferne. Graues Licht wird durch die schmutzigen Fenster hereingefiltert und erhellt Louis’ Gesicht   – ein Gesicht, das mit getrocknetem Blut verkrustet ist.
    Irgendwo: das Geräusch des Ozeans.
    Louis ist an einen Holzstuhl vor dem Leuchtturmscheinwerfer gefesselt. Eine verwirrende Vielfalt von Lämpchen befindet sich über seinem Kopf. Seine Handgelenke sind mit braunen Verlängerungskabeln an den Stuhllehnen befestigt, und andere Kabel fesseln seine Füße an die Stuhlbeine. Sein Kopf wird von schwarzem Isolierband festgehalten, das um seine Stirn geklebt ist, sodass sein Schädel am Sockel des Leuchtfeuers fixiert ist.
    Ein großer, dünner Mann nähert sich. Er ist vollkommen haarlos. Keine Augenbrauen. Nicht einmal Wimpern.
    In einer seiner gelenkigen, spinnenhaften Hände hält er ein langes Filetiermesser.
    Der Mann bewundert die Klinge einen Moment lang,
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