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Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)

Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)

Titel: Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)
Autoren: Meinhard von Gerkan
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unerfahrene und wirtschaftlich noch klamme Büros das leisten?
    Trotz der immensen digitalen Beschleunigung der Planung ist Architektur (und teilweise auch das Ingenieurwesen) noch immer eine künstlerisch-kreative Tätigkeit. Daraus schöpft sie ihre Fähigkeit zur Überraschung, die Stärke des Ausdrucks, die Schönheit des Partiellen wie des Allgemeinen und vieles mehr. Wenn das aber ins Vergessen gerät, wenn Architektur von Anfang an auf eine durchgeplante Übung reduziert wird, wenn Abläufe, Termine und deren beider Kontrolle zum Hauptthema werden, dann sehen wir einer ausgesprochen tristen, ja lebensfeindlichen Zukunft entgegen.

Bauen in Autokratien
    Entnervt von den Zuständen auf den deutschen Großbaustellen Stuttgart 21, Elbphilharmonie, BER blicken Architekturkritiker mitunter begehrlich auf Shanghai, Peking oderauf Großbauprojekte in anderen Städten autokratischer Gesellschaften. Aus pragmatischer Sicht geht hier tatsächlich vieles schneller, mitunter sogar im kalkulierten Kostenrahmen. Hierfür sorgen kürzere Entscheidungswege, weniger Gremien und Verantwortliche, weniger Vorschriften, Unabhängigkeit von Wahlperioden und von der Bevölkerung, um nur einige Faktoren auf der Bauherrschaftsebene zu nennen. Auf der Ebene der Arbeitnehmer haben wir es mit längeren Arbeitszeiten, weniger Rechten und hierzulande so gut wie ausgestorbenen unsozialen Formen der Arbeit zu tun, mit Arbeitsmigranten oder Wanderarbeitern. Auf der Ebene der Bauunternehmen ist der Monopolist zumeist staatlichen Ursprungs und leicht kontrollierbar. Ich weigere mich, mir vorzustellen, dass deutsche Architekturkritiker sich in derartige politische und soziale Verhältnisse zurückwünschen, um über spektakuläre, kostengünstige bundesrepublikanische Bauten berichten zu können.
    Seltsamerweise werden viele, die sich für die Effizienz und die Qualität der von deutschen Architekten realisierten Großbauprojekte in Shanghai, Peking oder anderswo begeistern, zu Philosophen, wenn es um die Frage geht, ob man in autokratischen Ländern überhaupt bauen darf. Während deutsche Unternehmen, zum Beispiel Automobil- und Elektrokonzerne, durch massenhaften Export ihrer Produkte zum Wachstum der deutschen Wirtschaft beitragen und deutsche Konsumenten sich mit billigen Spielwaren, Textilien und Solaranlagen aus autokratisch regierten Ursprungsländern versorgen dürfen, lastet auf deutschen Architekten Friedrich Schillers sprichwörtlicher »Fluch der bösen Tat« (»dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären«), wenn sie, wie andere Wirtschaftsunternehmen auch, ihr Geld in Autokratien verdienen. Das birgt viel Sprengstoff. Oft wird schweres philosophisches Geschütz aufgefahren, um das Bauen in autokratischen Gesellschaften ethisch und moralisch zu diskreditieren, zumeist Friedrich Nietzsches berühmter, sinnentstellter, verkürzt zitierter Architekturaphorismus aus seiner »Götzen-Dämmerung«. Vollständig lautet das Zitat folgendermaßen:
    »Der Architekt stellt weder einen dionysischen noch einen apollinischen Zustand dar: Hier ist es der große Willensakt, der Wille, der Berge versetzt, der Rausch des großen Willens, der zur Kunst verlangt. Die mächtigsten Menschen haben immer die Architekten inspiriert; der Architekt war stets unter der Suggestion der Macht. Im Bauwerk soll sich der Stolz, der Sieg über die Schwere, der Wille zur Macht versichtbaren; Architektur ist eine Art Macht-Beredsamkeit in Formen, bald überredend, selbst schmeichelnd, bald bloß befehlend. Das höchste Gefühl von Macht und Sicherheit kommt in dem zum Ausdruck, was großen Stil hat. Die Macht, die keinen Beweis mehr nötig hat; die es verschmäht, zu gefallen; die schwer antwortet; die keine Zeugen um sich fühlt; die ohne Bewusstsein davon lebt, dass es Widerspruch gegen sie gibt; die in sich ruht, fatalistisch, ein Gesetz unter Gesetzen: Das redet als großer Stil von sich. –« 5
    Dem aufmerksamen Leser entgeht nicht, dass Nietzsche jegliche Architektur und jegliche Architekten der »Suggestion der Macht« unterworfen sieht, also auch diejenigen Baumeister, die in demokratischen Gesellschaften Versicherungspaläste oder Trutzburgen des Finanzsystems errichten. Es geht Nietzsche also nicht nur um Repräsentationsbauten für Despoten, sondern um die »Macht-Beredsamkeit in Formen« allgemein. Im zweiten Teil des Aphorismus gar ersetzt Nietzsche die Bau-Rhetorik, die Versuche, den Betrachter zu überreden, ihm zu schmeicheln oder zu befehlen,
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