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Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)

Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)

Titel: Black Box BER: Vom Flughafen Berlin Brandenburg und anderen Großbaustellen. Wie Deutschland seine Zukunft verbaut (German Edition)
Autoren: Meinhard von Gerkan
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durch »Versichtbarkeit« des Willens zur Macht im großen Stil . Der große Stil , die Überwindung baukünstlerischer Rhetorik, ist für Nietzsche die Macht selbst, die keinen Beweis mehr nötig hat, die ohne Bewusstsein davon lebt, dass es Widerspruch gegen sie gibt, die also keine ethischen oder moralischen Widerstände kennt, weil sie in sich ruht, die Gravität, die Erdenschwere der Baumasse vollständig überwunden hat.
    Scheinheilig nenne ich es, den Zusammenhang von Bauen und Macht in demokratischen Gesellschaften zu leugnen und jenen, die sich an Architektenwettbewerben in autokratischen Gesellschaften, Saudi-Arabien, Vietnam oder China, erfolgreich beteiligen, ethische und moralische Verkommenheit zu attestieren. Ob gmp über den großen Stil im Sinne Nietzsches verfügt und somit jeglicher Kritik enteilt ist, sei dem Urteil anderer empfohlen. Wir selbst leben mit dem Bewusstsein, dass es gegen Architektur Widerspruch gibt.
    Unser Büro hat lange überlegt, ob wir uns am Bau des Chinesischen Nationalmuseums beteiligen sollten, gelegen am Tian’anmen-Platz, einem Symbol des Massakers vom 4.   Juni   1989   –   tatsächlich kam auf dem Platz, entgegen der damaligen tendenziösen medialen Berichterstattung, niemand zu Tode. Wir von gmp haben uns zur Teilnahme am Museumsprojekt entschlossen, weil wir der Ansicht waren, fünftausend Jahre chinesische Geschichte und Kultur ließen sich nicht auf ein Ereignis reduzieren. Auch die deutsche Geschichte, so dachten wir, kann man nicht auf die Epoche der Naziherrschaft verkürzen.
    Die erste internationale Ausstellung des Museums durfte Deutschland ausrichten und bei dieser Gelegenheit über Die Kunst der Aufklärung informieren, nicht unbedingt zur Freude der chinesischen Gastgeber, wie die Ereignisse im Vorfeld der Ausstellung und nach der Eröffnung am 1.   April   2011 nahelegen.
    Wir haben in Peking keinen Turm für einen Propagandasender gebaut, das von uns in Hanoi errichtete Parlamentsgebäude soll Demokratie nicht verhindern, die von uns entworfene Stadt Lingang New City ist ein Exempel für in China, dem weltgrößten Umweltverschmutzer, unbekanntes, umweltbewusstes und nachhaltiges Bauen; unser Bahnhof in Tianjin erleichtert vielen Tausenden Chinesen den täglichen Weg zur Arbeit. Hätten wir das alles nicht bauen sollen, weil in China die Rechte des Individuums mutmaßlich mit den Füßen getreten werden? Weil deutsche Architekten endlose Copyright-Prozesse führen müssen, um sich gegen unautorisierte Kopien zu schützen?
    Im Laufe meines globalen Engagements ist mir bewusst geworden, was es heißt: Andere Länder, andere Sitten. Man kann nicht einfach die dem heimischen Kulturkreis entstammenden Standards exportieren. Das wäre kultureller, in meinem Falle architektonischer Kolonialismus. Ein Beispiel aus der von Volkwin Marg und mir gegründeten Academy for Architectural Culture (aac) möge die Problematik eines kulturellen Hegemonie-Anspruchs verdeutlichen. Die Studierenden hatten die Aufgabe, die Architektur eines Gebäudes zu entwerfen. Ein Studierender, er kam aus China, präsentierte mir die detailgetreue Kopie eines meiner Entwürfe. Für ihn bestand seine Leistung in der Meisterschaft des Kopierens. Nur der, so seine Meinung, ist ein Meister, der seinen Lehrer bis ins Kleinste kopieren kann. Diese Auffassung hat in China eine lange Tradition. Und auch in Europa gehören Malerschulen beispielsweise noch nicht lange der Geschichte an. Das Urheberrecht, das Recht des Individuums auf seine geistige Leistung, ist eine Erfindung des ausgehenden 18. und des frühen 19. Jahrhunderts. Es geht auf die Genieästhetik zurück und auf die Initiative der Verlage, die unter dem Vorwand, das Genie und seine Rechte schützen zu wollen, mit Erlass des Copyrights unerlaubte Nachdrucke verbieten lassen und damit ihre Rendite sichern konnten. Mein chinesischer Kopist stellte mich vor die Frage: Sollte ich ihm seinen Entwurf wegen mangelnder Originalität um die Ohren hauen, oder sollte ich selbstkritisch die Tradition der Kunst, in der ich stehe, hinterfragen? Also: Kalter Krieg der Kulturen oder Wandel durch Annäherung? Wir von gmp haben uns für die sehr erfolgreiche Formel der Politik Willy Brandts entschieden, die ja immerhin die deutsche Wiedervereinigung eingebracht hat.
    In diesem Geist wurde die Academy for Architectural Culture gegründet. Sie versammelt Architekturstudierende, Absolventen und Architekten aus aller Herren Länder,
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