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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart
Autoren: Gabrielle Zevin
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hier draußen, vor dem Büro. Was hast du angestellt?«
    »Multiple Choice«, entgegnete er. »A: Mehrere spitze Anmerkungen in Theologie, B: Die Rektorin möchte sich mit dem Neuen über das Tragen von Mützen in der Schule unterhalten, C: Mein Stundenplan – ich bin einfach zu schlau für den Unterricht, D: Augenzeugenbericht über das Mädchen, das seinem Freund Lasagne auf den Kopf kippte, E: Die Rektorin verlässt ihren Mann und will mit mir durchbrennen, F: Keiner der obigen Punkte, G: Alle obigen Punkte.«
    »Exfreund«, murmelte ich.
    »Gut zu wissen«, sagte er.
    In dem Augenblick öffnete sich die Tür der Rektorin, und Gable kam heraus. Wo die Soße ihn getroffen hatte, hatte er rote Flecken im Gesicht. Sein weißes Hemd war mit Soße bekleckert, was ihn unheimlich stören musste.
    Böse flüsterte er mir zu: »Lohnt sich nicht.«
    Die Rektorin steckte den Kopf heraus. »Mr. Delacroix«, sagte sie zu Win, »wäre es für Sie furchtbar unangenehm, wenn ich zuerst mit Ms. Balanchine reden würde?«
    Er war einverstanden, und ich ging ins Büro. Die Rektorin schloss die Tür hinter uns.
    Ich wusste bereits, wie es nun weiterging. Ich bekäme Bewährung und müsste den Rest der Woche den Küchendienst übernehmen. In Anbetracht dessen hatte es sich durchaus gelohnt, Gable die Lasagne über den Kopf zu kippen.
    »Sie müssen lernen, Ihre kleinen Beziehungsprobleme außerhalb von Holy Trinity zu lösen, Ms. Balanchine«, sagte die Rektorin.
    »Ja, natürlich.«
    Irgendwie schien es mir sinnlos, darauf hinzuweisen, dass Gable am Vorabend versucht hatte, mich zum Sex zu zwingen.
    »Ich habe überlegt, ob ich Ihre Großmutter Galina anrufen soll, aber ich weiß, dass sie bei schlechter Gesundheit ist. Wir müssen sie nicht beunruhigen.«
    »Danke sehr. Das weiß ich zu schätzen.«
    »Ehrlich, Anya, ich mache mir Sorgen um Sie. Diese Art von Verhalten könnte Ihrem Ruf sehr schaden, wenn das zur Regel werden sollte.«
    Als wüsste sie nicht, dass ich mit einem schlechten Ruf zur Welt gekommen war.
    Als ich das Büro verließ, saß meine zwölfjährige Schwester Natty neben Win. Scarlet musste ihr gesagt haben, wo sie mich finden konnte. Vielleicht hatte Natty es auch erraten – ich war nicht zum ersten Mal im Büro der Rektorin. Natty hatte Wins Mütze aufgesetzt. Offenbar kannten sich die beiden. Wie sie in ihrem Alter flirten konnte! Und Natty war süß dabei. Sie hatte langes, glänzendes schwarzes Haar. So wie ich, nur dass ihres ganz glatt war, während ich mich mit unzähmbaren Locken herumschlug.
    »Tut mir leid, dass ich mich vorgedrängelt habe«, sagte ich zu Win.
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Gib Win seine Mütze zurück«, forderte ich Natty auf.
    »Sie steht mir gut«, sagte sie und klimperte mit den Wimpern.
    Ich nahm sie ihr vom Kopf und reichte sie Win. »Danke fürs Babysitten«, sagte ich.
    »Hör auf, mich zu infantilisieren«, protestierte Natty.
    »Ein sehr gutes Wort«, bemerkte Win.
    »Danke«, erwiderte Natty. »Zufällig kenne ich ganz viele von der Sorte.«
    Nur um Natty zu ärgern, nahm ich ihre Hand. Kurz bevor wir um die Ecke bogen, drehte ich mich um und sagte: »Ich tippe auf C. Du bist wahrscheinlich zu schlau für deine Kurse.«
    Er zwinkerte. Zwinkerte er mir tatsächlich zu? »Verrat ich nicht.«
    Natty seufzte. »Oh«, sagte sie, »der gefällt mir.«
    Ich verdrehte die Augen, wir gingen durch die Tür. »Nicht mal im Traum! Er ist viel zu alt für dich.«
    »Nur vier Jahre«, sagte Natty. »Ich hab ihn gefragt.«
    »Wenn man zwölf ist, ist das aber sehr viel.«
    Wir hatten unseren Bus verpasst, der uns quer durch die Stadt brachte; aufgrund der Kürzungen im Budget der Verkehrsgesellschaft kam der nächste erst in einer Stunde. Ich wollte zu Hause sein, wenn Leo von der Arbeit kam, deshalb beschloss ich, zu Fuß durch den Park zu unserem Apartment zu gehen. Daddy hatte mir mal erzählt, wie der Park in seiner Kindheit ausgesehen hatte: voller Bäume und Blumen, Eichhörnchen und Teiche, auf denen man Kanu fahren konnte. Es gab Verkäufer mit allen erdenklichen Leckereien im Angebot, einen Zoo, Fahrten im Heißluftballon, im Sommer Konzerte und Aufführungen, im Winter Eislaufen und Schlittenfahren. So war es jetzt nicht mehr.
    Die Teiche waren ausgetrocknet oder trockengelegt worden, die Vegetation größtenteils verkümmert. Einige wenige Statuen, zerborstene Parkbänke und graffitiverschmierte leere Gebäude waren noch übrig, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass
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