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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze
Autoren: Maria Sveland
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mittleren Alters kommt mit energischen Schritten auf mich zu.
    »Oh dearest! You shouldn’t sit here all by yourself!«, sagt die Frau und geht neben mir in die Hocke.
    »It can be really dangerous out here with the wind and the darkness! The stones get really slippery!«, sagt der Mann und bleibt stehen.
    »It’s all right«, antworte ich. »I mean, I’m all right!«,
    sage ich mit belegter Stimme, die vermutlich verrät, warum ich ein so rotes Gesicht habe.
    Ich weiß, wie ich aussehe, wenn ich auch nur ein kleines bisschen geweint habe. Und jetzt habe ich stundenlang geheult.
    »Really!«, wiederhole ich, als sie nicht antworten.
    »Yes, well let us walk you back to the street, darling!«, sagt die Frau und reicht mir ihre Hand.
    Ich nehme sie und versuche, beruhigend zu lächeln, sie lächelt milde zurück. Sie schauen sich vielsagend an, und ich verstehe, dass sie befürchtet haben, ich hätte allen Ernstes vorgehabt, mir das Leben zu nehmen.
    Ich habe plötzlich ein Bild aus dem Film »Die Geliebte des französischen Leutnants« vor Augen, da steht Meryl Streep auf so einem Pier und will sich ins Meer stürzen, wird aber in letzter Sekunde von Jeremy Irons gerettet.
    Ich muss laut lachen, und der Mann und die Frau schauen sich zunächst besorgt an und dann mich. Ich muss mich erklären, sie sind so nett und meinen es nur gut: Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen machen.
    »I was just thinking about life and love«, sage ich und versuche so ruhig und gefasst zu klingen, wie ich nur kann, fürchte jedoch, dass ich nur ihren Verdacht bestätige.
    Ich muss wieder lachen, als ich ihre aufgerissenen Augen sehe.
    »I’m happy. I promise you! It’s just that I think I’m expecting another child and it brings back a lot of sad memories but also happiness!«, versuche ich es noch einmal.
    Die Frau hält immer noch meine Hand, jetzt nimmt sie sie zwischen ihre beiden Hände und drückt sie fest.
    »Oh dear girl!«, sagt sie und schaut mir in die Augen.
    Mir wird klar, dass sie nicht aufgeben werden, sie scheinen richtig erschrocken zu sein. Als sie darauf bestehen, mich im nächsten Café auf eine Tasse Tee einzuladen, nehme ich dankend an.
    Erst vor wenigen Stunden streichelte die Turkufrau meine Wange und jetzt dies. Was strahle ich wohl aus, dass ältere Menschen sich um mich kümmern wollen? Vielleicht Sehnsucht?
    So kommt es, dass ich mitten in der Nacht mit einem englischen Paar mittleren Alters in einem Café sitze und von meinem Leben erzähle. Und mir ihre Liebesgeschichte anhöre. Sie erfüllt alle Klischees vom Mythos der Liebe, sie entspricht den Konventionen und hält schon sechsundvierzig Jahre. Die Frau war Hausfrau und hat drei Kinder großgezogen, der Mann ist Arzt. Nun sind die Kinder erwachsen, sie haben vier Enkelkinder und fahren jedes Jahr zwei Wochen nach Teneriffa. John und Mary.
    »Seid ihr glücklich?«, frage ich.
    John und Mary schauen sich an und lachen herzlich.
    »Dear girl!«, sagt Mary und erklärt, dass Glück ein relativer Begriff ist, den man in sich selbst finden muss.
    John stimmt ihr zu und sagt, er sei heute glücklicher als vor dreißig Jahren. Da war er gestresst von allem, was von ihm erwartet wurde, der Karriere und den Kindern. Jetzt lässt er es ruhig angehen und genießt das Leben.
    »Vielleicht ist es leichter, glücklich zu sein, wenn man älter ist« sagt er. Ja, vielleicht.
    Ich frage, ob Mary sich als Hausfrau nicht gelangweilt habe. Sie schaut mich ernst an und sagt, das war damals so. Manchmal hat sie sich gelangweilt, aber meistens hat sie es genossen, die Kinder groß werden zu sehen. Aber wenn sie heute jung wäre, würde sie es vermutlich anders machen.
    »Wenn ich nicht Hausfrau gewesen wäre, dann wäre ich Juristin geworden. Jura hat mich schon immer interessiert«, sagt sie und erzählt, dass sie an der Uni Jura studiert hat, als die Kinder groß waren.
    »Bist du denn nicht verbittert, weil du mit den Kindern zu Hause warst, anstatt Jura zu studieren?«, frage ich Mary.
    Sie schweigt einen Moment und denkt nach.
    »Ich bereue bestimmte Entscheidungen, aber ich bin nicht verbittert. Wenn ich sauer wäre wegen allem, was ich hätte tun sollen, und allem, was ich nicht getan habe, dann könnte ich nicht weiterleben. Ich versuche zu akzeptieren, dass es ist, wie es ist, und nachzuholen, was möglich ist, und Dinge zu machen, die ich früher nicht geschafft habe.«
    »Aber genau davor habe ich Angst«, sage ich, »ich möchte nicht gemein sein, aber ich
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