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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze
Autoren: Maria Sveland
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die Seele aus dem Leib zu schreien, wenn es sein muss.
    Es ist ein eigensinniges und trotziges Gefühl: Ich will den Kuchen behalten und ihn aufessen. Es muss gehen.
    Ich betrachte die Familien mit Kindern am Pool. Heute trinkt kein Vater Heineken und keine Mutter schreit hysterisch ihren spielenden Kindern hinterher. Jede Familie hat ihre Liegestühle nebeneinander in einer Art Zusammengehörigkeitsmuster aufgestellt. Es ist rührend, wie sie da nebeneinanderliegen. Mama, Papa, Kind. Familie.
    Die Frau im pimmelrosa Kostüm wankt an meinem Liegestuhl vorbei. Auch sie darf sich einen Moment auf meinen Schoß setzen und ausruhen. Doch, ich habe Mitgefühl mit ihr, allerdings werde ich heute auch ein bisschen wütend auf sie.
    Sie setzt sich allein an einen Tisch und bestellt eine Flasche Weißwein. Ihr Mann kommt kurze Zeit später vorbei, er hat einen Tennisschläger in der Hand. Er bleibt an ihrem Tisch stehen, sagt etwas und geht dann weiter zum Tennisplatz. Sie schaut beschämt nach unten. Sie sind die ganze Zeit so weit voneinander entfernt wie möglich, und wenn sie zusammentreffen, dann mit großer Verachtung.
    Ich erinnere mich an Isadoras Worte: Man muss nicht um Entschuldigung bitten, weil man seine Seele besitzen will. Du hast recht, Isadora. Dieses Recht hat man verdammt noch mal.
    Sein Leben zu besitzen.
    Liebe, geliebte Frau mit dem Alkoholikermund und dem pimmelrosa Kostüm, du musst dich scheiden lassen, bevor du dich zu Tode trinkst! Dein Mann wird dir nicht helfen! Er spielt Tennis, während du allein dasitzt und unglücklich bist. Du musst es selbst in die Hand nehmen!
    Auf dem Weg in mein Hotelzimmer gehe ich an ihr vorbei. Ich glaube, ich möchte Adieu sagen. Und ihr vielleicht noch etwas anderes mitteilen. Meine Erkenntnisse. Dass ich verstehe, warum sie alkoholabhängig und bitterfotzig geworden ist. Es gibt tausend gute Gründe für jede Frau auf dieser Erde, sowohl alkoholabhängig als auch bitterfotzig zu werden.
    Und das ist genau die Herausforderung, dennoch weiter für die Würde und die Gerechtigkeit zu kämpfen. Bitterfotzig zu sein ist nur eine konsequente Reaktion auf ein krankes System, eine Ermahnung, sich nicht mit weniger zufriedenzugeben als mit der totalen Gleichberechtigung.
    Die Frau im pimmelrosa Kostüm schaut mich an, ich verlangsame meinen Schritt. Ich versuche sie direkt anzuschauen und setze mein wärmstes Lächeln auf. Ich bin jetzt stehen geblieben. Ich stehe vor ihr und spüre, wie die Wärme in meinem Lächeln erstarrt. Sie schaut mich mit einem höflichen Lächeln und einem abwesenden Blick an. Sie sitzt ein bisschen zu gerade und kämpft darum, die Haltung zu wahren.
    Ich will nie wieder saure Frauen mit angespannten Lippen verachten. Ich will nie wieder »blöde Kuh« denken, denn hinter jeder blöden Kuh verbirgt sich eine gekränkte Frau.
    »Auf Wiedersehen!«, sage ich auf Deutsch.
    »Auf Wiedersehen«, sagt sie höflich mit wässrigem Blick, ohne etwas verstanden zu haben.
    »Auf Wiedersehen«, sage ich noch einmal und gehe schnell weg. Ich drehe mich um und sehe, dass sie in der gleichen Haltung dasitzt, mit ihrem allzu geraden Rücken und ihrem steifen Lächeln. Unberührt.
    Muss es so enden? Das ist unerträglich.
    Im Hotelzimmer weine ich ein bisschen, aus Wehmut über alle unglücklichen, alkoholabhängigen Frauen, alle unglücklichen Männer, die ruckartig schwimmen und Tennis spielen. Ich weine, weil die Liebe so erbärmlich sein kann.
    Ich weine, weil ich nichts von meinem eigenen Ende weiß. Weil es verdammt schwer ist, sein Leben zu besitzen.
    Ich setze mich auf den Balkon und rufe zu Hause bei Sigge und Johan an. Heute ist Sigge besser gelaunt und will ein bisschen reden. Er hat gerade das Kinderprogramm geschaut und ein Birneneis bekommen.
    »Kannst du mir ein trauriges Lied vorsingen, Mama?«, sagt er.
    »Ja, welches denn?«, frage ich, obwohl ich schon weiß, welches er hören möchte.
    »Das von dem Hering«, sagt er, und ich singe in sein wunderbares kleines Ohr, Tausende von Kilometern weit weg, aber doch ganz nah.
Draußen in der Tiefe der Ostsee
Schwamm ein kleiner Hering und war krank
Er hatte Schnupfen, weil es so kalt war
Er kämpfte tapfer
Aber er kam nicht mehr hoch
    »Hallo! Sigge, bist du noch da?« Er schweigt.
    »Warum kam er nicht mehr hoch?«, fragt er wie üblich.
    »Er war so krank, er schaffte es nicht mehr«, antworte ich. Wie üblich.
    »Aber was war dann, als er nicht mehr hochkam?«
    »Nichts. Er ist ja ein Hering, er
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