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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze
Autoren: Maria Sveland
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nur noch ein paar Seiten, aber zu viele Gedanken in meinem Kopf streiten um Aufmerksamkeit.
    Es muss doch möglich sein, gleichberechtigt zu lieben und zu leben. Es muss möglich sein, die Liebe aus dem Gefängnis des Scheißpatriarchats zu befreien. Es muss doch möglich sein, dass die Liebe das Größte ist und über allem steht. Dass sie Veränderung möglich macht. Die Menschen dazu bringt, es gut zu meinen.
    Ich werde daran glauben.
    Ich will daran glauben.
    Aber gerade da fällt mein Blick auf ein paar Worte von Joyce Carol Oates, ein Zitat, das ich in mein Notizbuch geschrieben habe und das ich oft lese.
Wahrheit ist Wunsch; wir wollen glauben; was wir glauben wollen, nennen wir Wahrheit. Und wenn die Liebe ins Spiel kommt, verlieren wir die Wahrheit.
    Ich denke darüber nach. Ich denke an die Frau im pimmelrosa Kostüm, an das Mädchen mit Flugangst, an meine Mutter, an mich.
    Dass es genauso wehtut zu schweigen wie zu streiten. Dass ich eigentlich nicht weiß, was die Wahrheit ist und was ich einfach glauben will.
    Es saust im Kopf und kitzelt im Bauch, als wir landen. Eine leichte Übelkeit, ich kaue wie wild auf meinem Kaugummi. Dann sind wir da.
    Sigge sitzt mit einer halb gegessenen Zimtschnecke im Buggy. Johan hockt neben ihm. Ich habe vergessen, wie wunderbar sie in Wirklichkeit sind. Ich nehme Sigge hoch und drücke ihn fest an mich, merke, wie die Tränen laufen. Ich rieche an seinem Nacken, küsse sein Ohr, seine Wangen, seine Haare. Halte ihn ein Stück weg, damit ich ihn genau anschauen kann.
    »Hallo, mein geliebtes Froschkind!«, sage ich.
    »Hallo!«, sagt er schlicht. »Warum weinst du, Mama?«
    »Weil ich mich so freue, dich wiederzusehen!«, sage ich.
    »Du musst Papa auch umarmen!«, ermahnt er mich.
    Was haben wir doch für ein kluges, empfindsames Kind, es überrascht mich immer wieder mit seinem Wissen über die Zerbrechlichkeit der Liebe.
    Ich setze Sigge in den Buggy und wende mich Johan zu. Er schaut mich fragend an, und ich hebe eine Augenbraue und schaue fragend zurück.
    Wir scheinen beide nicht zu wissen, welche Stimmung herrschen soll. Frostiges Schmollen, das ach so wohlbekannte, das mich langsam, aber sicher aushöhlt?
    Oder haben wir uns gar vermisst?
    Ich lächle maßvoll vorsichtig. Johan beantwortet es mit einem etwas breiteren Lächeln. Ich spüre, wie mir warm ums Herz wird, und mache einen Schritt nach vorne und ziehe ihn zu mir. Wir küssen uns, es ist ein tiefer, langer Kuss. Es kribbelt im Zwerchfell.
    Zu Hause kriechen wir alle drei in unserem Bett unter die Decke. Wir lesen Franziska und die Wölfe. Es ist schon fast zehn und Sigge schläft erschöpft ein, gerade als die Wölfe hochklettern und an den Tannenspitzen hängen bleiben.
    »Ich muss baden«, sage ich.
    »Mach das, ich komme gleich nach«, sagt Johan.
    Ich lasse mich in das heiße Wasser sinken. Spüre, wie ich mich entspanne und warm werde. Ich will die letzten Seiten in Angst vorm Fliegen lesen.
    Isadora sitzt auch in einer Badewanne in Bennetts Hotelzimmer in London. Sie wartet und überlegt, was sie sagen soll, wenn Bennett hereinkommt.
»Wenn du dich erniedrigst, bist du wieder dort, wo du angefangen hast«, hatte Adrian gesagt. Ich wusste, dass ich das nicht tun würde. Mehr wusste ich allerdings nicht. Doch das war genug. Ich ließ heißes Wasser zulaufen und seifte mir den Kopf ein. Ich dachte an Adrian und warf ihm in Gedanken eine Kusshand zu. Ich dachte an den unbekannten Erfinder der Badewanne. Ich war irgendwie sicher, dass es eine Frau gewesen sein musste. Und war der Erfinder des Stöpsels ein Mann? Ich summte vor mich hin und spülte mir die Seife aus dem Haar. Als ich es das zweite Mal einseifte, trat Bennett ins Zimmer.
    Hier endet Angst vorm Fliegen .
    Ich lege das Buch auf den nassen Badezimmerboden und schaue zu, wie das Papier das Wasser aufsaugt und klumpig wird.
    Ich schaue meinen Körper an, wie er schwerelos und warm in der Wanne schwimmt. Ich fahre mit dem Zeigefinger über die blaulila Kaiserschnittnarbe, wo Sigge einmal, zu einer anderen Zeit, in einer anderen Welt, von starken Händen herausgezogen wurde. Überlege, was Isadoras offenes Ende eigentlich bedeutet, und ich komme zu dem Schluss, dass ich stark bezweifle, dass ihre Ehe halten wird, trotz Bennetts Entree auf der letzten Seite. Vielleicht ein halbes Jahr, aber nicht länger. Oder es ist nur Wunschdenken, eine Kompensation für mein eigenes dürftiges Ende.
    Vielleicht ist es so, wie Erica Jong in Angst vorm Fliegen
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