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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze
Autoren: Maria Sveland
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lassen. Das tröstet und umschließt, es macht mich warm und schwerelos und wunderbar schwindelig im Kopf. Im Badezimmer kann ich mich einschließen und mich weigern zu antworten.
    In der Badewanne habe ich gelesen und mich mit Isadoras Sehnsucht getröstet.
Der Wunsch, von Zeit zu Zeit auszubrechen, festzustellen, ob man immer noch imstande ist, allein in seinem eigenen Kopf zu leben, festzustellen, ob man es fertigbringt, allein in einer Hütte im Wald zu leben, ohne den Verstand zu verlieren, kurz, ob man noch ›ganz‹ ist, nachdem man so viele Jahre nur die Hälfte von etwas war /…/ Fünf Jahre Ehe hatten mich gierig nach all diesen Dingen gemacht: gierig nach Männern und gierig nach Einsamkeit, gierig nach Sex und gierig nach dem Leben eines Einsiedlers. Ich wusste, dass meine Gelüste widersprüchlich waren, und das machte die Sache nur schlimmer.
    In der Badewanne las ich und dachte, ich liebe Isadora und ihre Verwirrung, aber ich wollte keinen Sex. Und auch keine Affäre mit einem ebenso unglücklichen Deppen. Nicht mal das. Ich dachte, so weit ist es also schon gekommen, dass sogar meine Tagträume vom Alleinsein und vom Zeithaben handeln. Schlafen zu dürfen und lange nachzudenken.
    Eines Tages letzte Woche wurde mein Januarleben ganz einfach unerträglich. Am Donnerstagmorgen radelte ich zu schnell, ich kam abgehetzt und nass geschwitzt im Psychotherapieinstitut an. Ich war ein paar Minuten zu spät und ärgerte mich, weil die Frau an der Kasse meinen Hundertkronenschein nicht wechseln konnte. Sie haben nie Wechselgeld da, als wollten sie nicht zugeben, dass sie Geld nehmen. Ich versuchte, mich mit den rauen Papierhandtüchern auf der Toilette abzutrocknen, aber das half nichts, ich schwitzte immer noch nach. Ich wusste, dass Niklas, mein Therapeut, auf mich wartete, und wie so oft fing ich auf dieser Toilette an zu weinen. Ich weiß nicht, wie oft ich schon hier gestanden und mir leidgetan habe. Irgendetwas an Niklas ruft die große Traurigkeit hervor. Seine freundliche Erlaubnis, klein und elendig zu sein und zu wissen, dass er auf jeden Fall da ist und mich empfängt. Der liebe große Bruder, eine Beziehung zu einem Mann, die ausnahmsweise mal nicht voller verwirrender Begierde ist.
    Dann saß ich ihm gegenüber und beschwerte mich über den Januar, den Schlafmangel und dass es nicht mehr kribbelte. Ich verfluchte die Emotionslosigkeit und schimpfte, wie sehr ich mich danach sehnte, einfach abzuhauen.
    Er betrachtete mich mit seinen lieben Augen, die ich so gern mag.
    »Und was hindert dich?«, fragte er sachlich.
    Ich sah ihn an und konnte nicht antworten. Was hinderte mich? Eigentlich nichts. Weder meine Arbeit noch mein Partner noch das Geld. Ich zögerte aus einem ganz anderen Grund. Etwas Unausgesprochenes, ein unerlaubtes Gefühl hinderte mich. Als ob ich auf dem besten Weg wäre, eine schreckliche, verbrecherische Tat zu begehen.
    Ich konnte nicht auf die Frage antworten, was mich eigentlich hinderte, und das war mir so peinlich, dass ich noch am gleichen Abend anfing, nach Reisen zu suchen.
    Ich wollte nicht allzu weit weg reisen, dafür bin ich zu feige. Die Sehnsucht nach Sonne und Wärme war so groß, dass eine spannende Großstadt nicht infrage kam. Es wurde also eine Charterreise nach Teneriffa, ein Reiseziel, das zu so einer Langweilerin passte, wie ich es bin. Geworden bin.
    »Ich muss«, erklärte ich Johan, der mich zwar nicht hinderte, aber auch nicht gerade begeistert war.
    »Es wird Wunder wirken, ich komme als neuer Mensch zurück«, sagte ich. Ich brauchte seinen Segen, sonst konnte ich nicht fahren, auch wenn es nur um eine kleine Pauschalwoche auf Teneriffa ging. Der Tabubruch war so schon groß genug, einfach allein wegfahren und Mann und Kind zurücklassen.
    Ich fürchtete mich vor Sigges Bestrafung, vor seinem abgewandten Gesicht, und wie er meinem Blick auswich. Denn obwohl Johan zwanzigmal so viel weg war, seit Sigge auf der Welt ist, wurde Sigge nur böse, wenn ausnahmsweise ich einmal verreiste. Johan konnte wochenlang weg sein, Sigge sehnte sich liebevoll und großmütig nach ihm. Warf sich Johan in die Arme, wenn er wieder nach Hause kam, und schien überglücklich zu sein. Bei den wenigen Malen, die ich mehr als eine Nacht weg war, hat es Stunden gedauert, bis Sigge mich nicht mehr ignorierte. Eine kalte Entschlossenheit, die mich erschreckte. Und meine Schuldgefühle nur noch größer machte. Ich habe Johan einmal gefragt, warum Sigge seiner Meinung nach so
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