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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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Halbbruder um jeden Preis hinterlassen wollte.
    Die mutige Kurierin der Partisanen, die seit ihrer Kindheit von jedermann Tilde genannt worden war, war meine Mutter.

|240| Zwei Frauen
    Der junge Arzt folgte mir zu Jasmines Krankenzimmer. Ich fühlte seine Fingerspitzen auf meinem Arm, seine Berührung war so zart, dass sie mich irritierte. Er war mein Schatten, ein klebriges Insekt, das ich nicht loswurde. In der Hoffnung, dass er mich im Zimmer mit Jasmine allein lassen würde, ließ ich ihn gewähren.
    »Kann sie sprechen?«, fragte ich.
    »Natürlich.«
    Er öffnete die Tür und schob mich ins Zimmer. Er blieb auf der Schwelle stehen und sah mich von der Seite an. »Ich gebe Ihnen zehn Minuten. Die Patientin darf sich nicht überanstrengen.« Dann schloss er die Tür hinter sich und war verschwunden. Im Zimmer roch es durchdringend nach Medizin, was mir bei früheren Besuchen gar nicht aufgefallen war.
    Durch die breite Fensterfront drang gleißend helles Licht, das direkt auf Jasmines Gesicht fiel. Sie hatte die Augen geöffnet und sah mich an. Auf dem durch die Mittagssonne noch heller erscheinenden weißen Laken wirkten ihre abgemagerten Arme noch dunkler als sonst. Man hatte ihr zwei Kopfkissen in den Rücken gestopft, damit ihr Oberkörper etwas höher liegen konnte. Sie sah mich erwartungsvoll an, als ahnte sie, was jetzt kam.
    |241| Ich griff nach einem Stuhl und setzte mich neben ihr Bett.
    »Hallo, Jasmine«, flüsterte ich.
    Als Antwort schloss sie kurz die Augen, um ihren Mund erschien ein Lächeln. Sie hatte mich erkannt.
    »Das Schlimmste ist überstanden. Die Ärzte sagen, du wirst wieder ganz gesund.«
    Ihr Lächeln vertiefte sich, sie öffnete die Lippen, sodass ich ihre schneeweißen Zähne sehen konnte. Sie wirkte glücklich und zufrieden, wie ein Kind, das nach einem aufregenden Abenteuer wieder in den Armen seiner Eltern liegt. Sie war Waise und hatte weder Vater noch Mutter, die sie trösten konnten. Aber sie hatte es aus eigener Kraft geschafft, die Krise zu überwinden und dem Tod von der Schippe zu springen.
    »Ich habe gerade einen seltsamen Auftrag abgeschlossen und in meiner Tasche steckt ein Scheck über vierzigtausend Euro. Mit dem Geld kannst du noch mal von vorne anfangen. Alles wird gut.«
    Sie lächelte erneut. Das Sprechen fiel ihr offensichtlich schwer, denn sie schwieg noch immer.
    Ich legte meine Hand auf die ihre, ganz zart, genau wie der junge Arzt vorhin. Jasmine ließ den Blick nach unten auf unsere Hände wandern, dann sah sie mich an. In ihren strahlenden dunklen Augen erkannte ich Dankbarkeit, Zuneigung, aber auch ungläubiges Staunen.
    »Wirklich eine ganz verrückte Geschichte, soll ich dir davon erzählen?«
    Als Bestätigung schloss sie wieder kurz die Augen, den Kopf konnte sie wegen der straffen Verbände kaum bewegen.
    »Ein deutscher Professor hatte mich beauftragt, seinen Bruder zu suchen. Sein Vater war Hauptmann bei der deutschen Wehrmacht und wurde während des Krieges |242| bei einem Attentat umgebracht. Er hatte eine Beziehung zu einer jungen italienischen Partisanin, die von ihm schwanger wurde. Nach der Entbindung gab sie das Kind an die Schwester des Hauptmanns, die in Köln wohnte. Dort wuchs mein Klient auch auf. Nach der Befreiung Italiens heiratete seine Mutter ihren Verlobten, der im Krieg bei den Partisanen gekämpft hatte. Aus dieser Ehe stammt ein zweiter Sohn. Der Deutsche bot mir vierzigtausend Euro an, sollte ich seinen Halbbruder finden.«
    »Und du?«, presste sie mit äußerster Mühe heraus.
    »Ich habe meinen Job gemacht und ihn aufgespürt.«
    »Wie immer.« Sie lächelte wieder, dieses Mal mit einem Hauch Ironie.
    Ihre Stimme war matt, die Worte kamen schleppend, doch ihr französischer Akzent war selbst jetzt unverkennbar.
    Sie hatte Durst. Auf dem Nachttisch standen eine Flasche Wasser und ein Glas. Ich goss etwas Wasser ein und hielt das Glas vorsichtig an ihre Lippen. Sie nippte ein wenig und machte mir dann ein Zeichen, dass es genug war. Während ich ihr mit einem Tuch die Lippen und das Kinn trocken tupfte, fragte sie: »Warum hat er ihn gesucht, nach so langer Zeit?«
    »Er wollte seinen Vater rächen. Für ihn war es eine Frage der Ehre, seinen Halbbruder dafür büßen zu lassen. Er hat nicht mehr viel Zeit, er ist ein todkranker Mann.« Ich hielt einen Augenblick inne, dann fuhr ich fort: »Aber ich denke, er sieht die Dinge jetzt in einem anderen Licht. Ich übrigens auch. Als er wieder nach Deutschland abgereist ist,
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