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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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schien er völlig verunsichert. Ich habe den Eindruck, er ist jetzt nicht mehr wütend, sondern bereut, was er getan hat.«
    Sie sah mich besorgt an. »Und du?«
    »Ich?«
    |243| »Wie geht es dir?«
    »Gut. Warum fragst du?« Ich klang wenig überzeugend.
    »Weil du jetzt weißt, dass du einen Bruder hast«, sagte sie unvermittelt.
    Mir verschlug es die Sprache.
    »Wie   …?«
    Mühsam versuchte sie zu erklären: »Erstens hast du von einem seltsamen Fall gesprochen. Außerdem sind vierzigtausend Euro dafür zu viel. Bei Preisen kenne ich mich aus.«
    »So einfach ist das?« Meine anfängliche Irritation wich der Belustigung.
    »Bacci, du müsstest dein Gesicht sehen.« Ihr Lächeln war voller Zärtlichkeit.
    Dann schloss sie die Augen und seufzte tief. Der Arzt hatte recht, das Sprechen strengte sie an. Eine Weile saßen wir still beieinander.
    Dann brach sie das Schweigen: »Wie war der Name?«
    »Des Deutschen?«
    »Der Name deiner Mutter.«
    »Tilde.«
    Meine spontane Antwort überraschte mich selbst. Bis heute war sie für mich immer Anna gewesen.
    »War sie auch eine   …«, sie suchte nach Worten.
    »Prostituierte?«
    Sie zuckte zusammen, meine Antwort hatte sie irritiert. »Nein, eine wie dein Vater«, beeilte sie sich zu sagen.
    »Eine Partisanin?«
    Sie schlug erneut die Augen nieder und griff nach meiner Hand. Ich ließ es zu: »Ja, sie war eine Kurierin und hat Nachrichten an die Partisanen überbracht. Sie wurde von den Nazis verhaftet, dabei hat sie den deutschen Hauptmann kennengelernt.«
    »Ich weiß wenig von dieser Zeit. Aber ich weiß, wer |244| die Nazis waren. Die Partisanen müssen wohl ihre Feinde gewesen sein.«
    Ich nickte, obwohl mir nicht klar war, worauf sie hinauswollte.
    »Auch bei uns herrscht Krieg, aber der ist anders.« Das Atmen fiel ihr schwer. Ich wollte sie unterbrechen, aber sie sprach weiter. »Es ist schwer, zu entscheiden, welche Seite die richtige ist.«
    »Für die Partisanen nicht. Sie kämpften für die Befreiung Italiens.«
    »Dann hat sie es nicht nur gemacht, um zu überleben.«
    »Ich denke nicht«, antwortete ich, aber die Zweifel blieben. Eine abschließende Antwort würde ich wohl nie finden. »Warum sagst du das?«, fragte ich.
    »Einfach so.« Ihr Lächeln war bitter. Dann drückte sie meine Hand. »Basci, mach nicht so ein Gesicht. Du bist ein glücklicher Mann, dein Vater und deine Mutter haben dir etwas hinterlassen.«
    In diesem Moment öffnete sich die Tür und der Arzt kam herein. Er brauchte nichts zu sagen.
    Unsere Zeit war zu Ende, aber es war ein Abschied voller Hoffnung. Für Verzweiflung gab es keinen Grund: Das Leben würde seinen Gang gehen, es würde nicht an Gelegenheiten fehlen, unsere Wunden zu heilen. Auf unsere Art und Weise und im Rahmen unserer Möglichkeiten.

|245| Auf Wiedersehen, Fräulein
    Genua, 12.   Mai 1944
     
    Der schwarze Wagen parkte im Garten, direkt vor dem Aufgang zur Villa. Inzwischen war er ein Teil ihres Lebens geworden. Der herbe Geruch der rauchgetränkten Ledersitze, der satte Klang des Motors beim Zurückschalten vor der Einmündung in die Via Sant’ Alberto, die kraftvolle Beschleunigung und das angenehme Schaukeln, das sie in den Schlaf wiegte wie eine Mutter ihr Kind. Der Koffer war bereits im Auto verstaut, Sommerkleider für sie und eine komplette Erstausstattung für das Kind, das sie unter dem Herzen trug. Sergente Walden, der aufmerksame und ergebene Diener seines Herrn, hatte alles bis ins letzte Detail vorbereitet, jetzt musste er sich nur noch um sein eigenes Gepäck kümmern, dann konnte es losgehen.
    Ein leichter Dunst verschleierte den blassblauen Himmel, aber die Morgensonne schaffte es trotzdem, das frische Grün der Platanen und Rosskastanien zum Leuchten zu bringen. Eine sanfte Brise strich durch die Zweige der alten Bäume und ließ die Blätter leicht erzittern.
    Hessen saß auf dem Bett. Elastische Hosenträger sorgten für den perfekten Sitz seiner Uniformhosen. Das Hemd war wie immer makellos weiß, die Stiefel blank gewienert. |246| Er war nervös und ließ die Füße auf dem Parkettboden hin und her wandern. Tilde hatte sich von ihm abgewandt und stand mit verschränkten Armen am Fenster. Ihre Augen klebten förmlich an dem Wagen, der sie weit wegbringen würde, an den unbekannten Ort, wo Greta und ihr Mann schon auf sie warteten.
    Im Gegenlicht ließen sich unter dem hauchzarten Stoff des türkisfarbenen Kleides ihre tief gebräunten langen Beine erahnen. Sie rieb die flachen Absätze
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