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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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Meine Tante nahm mich dann mit nach Köln.«
    »Warum wurde sie nicht deportiert?«
    »Mein Vater hat noch vor seinem Tod dafür gesorgt, dass eine mögliche Verbannung verhindert wird. Er hat sie geliebt, verstehen Sie?«
    Ich erwartete, dass er jetzt zu weinen beginnen würde, doch derartige Gefühle waren ihm fremd. Seinen Schmerz mit Tränen auszudrücken, dazu war er nicht imstande. Aber es war offenkundig, dass es ihn innerlich zerriss, und einen Augenblick lang vergaß ich, wie übel er mir mitgespielt hatte. Ich hatte ein Trostpflaster für ihn in petto, eine Information, die er bestimmt nicht kannte.
    |234| »Tilde konnte nicht wissen, dass Hauptmann Hessen am 15.   Mai ins Kino gehen würde.«
    »Haben Sie das von den alten Partisanen?«
    »Ja, und sie sind davon überzeugt.«
    »Und ich soll denen glauben?«
    »Einem der Kameraden haben Sie doch auch geglaubt, als er Ihnen den Namen Ihrer Mutter verraten hat.«
    Hessen warf mir einen schiefen Blick zu, überrascht und misstrauisch zugleich. »Er hat die Wahrheit gesagt.«
    »Wären Sie bereit mir zu sagen, wer es war?«
    »Warum nicht? Es war Lanza. Ich habe nie verstanden, warum gerade er das Schweigen gebrochen hat. Vielleicht war er selbst in sie verliebt und hat nie verwunden, dass sie einen anderen geheiratet hat.«
    »Vielleicht.«
    »Sie dagegen,
Signor
Pagano«, sagte er nach einer Pause, »sind ein unverschämter Lügner.«
    »Sie können es glauben oder nicht. Jedenfalls ist Tilde einige Tage vor dem Attentat verschwunden. Ich denke, dass sie und der Hauptmann Besseres zu tun hatten, als sich über das Kino zu unterhalten.«
    Er drückte den Filzhut an die Brust, wie ein kleines Kind seinen Teddybär.
    »Aber sie wusste von den Attentatsplänen.«
    Ich musste mich jetzt entscheiden. Sollte ich ihn belügen? Ihm irgendetwas erzählen, was niemals bewiesen oder widerlegt werden konnte?
    »Es wird Ihnen wahrscheinlich nicht gefallen, aber ich muss es Ihnen sagen: Ihr Vater hat den Partisanen wertvolle Informationen geliefert. Sie wollten seinen Tod nicht.«
    »Und Iolanda? Kennen Sie etwa nicht die Geschichte der vermeintlichen Verräterin, die mein Vater ans Messer geliefert hat?«
    |235| »Die kenne ich. Ich weiß auch, dass Dria Ratto mit Ihnen darüber gesprochen hat. Ich glaube, Ihr Vater hat eine falsche Fährte gelegt, um sich und Tilde zu schützen.«
    »Was wollen Sie damit andeuten?« Er war jetzt auf die ganze Wahrheit aus.
    »Wenn er den Namen der wirklichen Verräterin preisgegeben hätte, dann hätte er die Gestapo am Hals gehabt.«
    Seine wässrigen Augen ruhten lange auf mir. Spiegelbild seiner inneren Zerrissenheit, wie dunkle Wolken am türkisfarbenen Himmel. Ausdruck von Trauer, Hass und sogar Bedauern. Er seufzte tief und schaute auf den Hut, der durch das ständige Kneten seine Fasson eingebüßt hatte. Ich brauchte kein Prophet zu sein, um zu wissen, welche Frage er jetzt stellen würde: »Aber wusste sie von diesem Attentat?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Das glaube ich nicht. Manche Dinge bleiben bis zum letzten Moment geheim.«
    »Das überzeugt mich nicht«, erwiderte er. Ein Zittern lief über seinen Körper: »Hat Ihnen
Signor
Grandi nicht gesagt, dass diese Frau Tildes Freundin war?«
    »Doch, natürlich.«
    »Wäre das nicht ein gutes Motiv gewesen   …«
    Er verlor sich in dem sorgfältig zusammengefügten Bild, das er sich von der Vergangenheit gemacht hatte. Zwanzig Jahre lang hatte sich diese fixe Idee tief in ihm eingebrannt, hatte ihm keine Ruhe gelassen. Er tat mir leid. Er hatte um die Wahrheit gebettelt und jetzt würde er seine Rache nicht mehr auskosten können. Am meisten schmerzte ihn der Gedanke, seine Mutter könnte unschuldig sein.
    »Aber warum hat sie ihm nicht davon erzählt, bevor sie gegangen ist?«
    »Die Antwort haben Sie doch selbst gegeben, erinnern Sie sich nicht?«
    |236| »Ich?«
    »Vor einigen Tagen, am Telefon. Sie haben gesagt, der Krieg sei eine ernste Sache.«
    »Ja, das stimmt. Der Krieg ist eine ernste Sache.«
    Plötzlich nahm seine Stimme einen anderen Ton an. »Ich denke, Sie wollen etwas über die Erbschaft wissen«, sagte er fast heiter.
    Ich versuchte zu lächeln, heraus kam nur eine müde Grimasse. »Es gibt keine Erbschaft, Herr Hessen.«
    »Sie haben recht«, sagte er, während er versuchte, seinem Hut wieder eine Form zu geben, »von meinem Vermögen ist kaum etwas geblieben, außer einigen Wertpapieren und einer Villa in der Kölner Innenstadt.«
    »Es gibt da noch
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