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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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schnellere Aufklärung erwartet.«
    »Ich hatte anderes im Kopf.«
    |231| »Stimmt, Ihre Freundin. Haben die Ärzte schon eine Prognose gewagt?«
    »Was ist mit Ihrer?«
    »Die Ärzte haben mich schon lange abgeschrieben. Diese Stümper hatten mich bereits vor zwanzig Jahren aufgegeben. Ich bin dann nach Amerika gegangen, dort haben sie mich operiert und um mein Vermögen erleichtert. Wie Sie sehen, lebe ich immer noch. Jetzt bin ich bereit abzutreten.«
    »Was wollen Sie wissen?«, unterbrach ich ihn. Bald würde sich die Tür öffnen und die Ärzte würden den täglichen Bericht über Jasmines Gesundheitszustand verkünden.
    »Wie es scheint, kennen Sie die Wahrheit«, sagte er unvermittelt.
    »Das kann man noch nicht endgültig sagen. Diese Geschichte hat alte Wunden wieder aufbrechen lassen, Dinge, die ich mir bis heute nicht erklären konnte.«
    »Dann müssten Sie mir doch eigentlich dankbar sein,
Herr
Pagano.«
    »Lassen Sie mich doch bitte selbst entscheiden, wem ich Dankbarkeit schulde.«
    »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts, aber ich habe Informationen über Ihre
Freundin
eingeholt.«
    »Jasmine?«
    »Sie ist eine afrikanische Prostituierte.«
    Ich ballte meine Fäuste, auch wenn ich meine Hand nie gegen einen Todkranken erheben würde.
    »Wer hat Ihnen das erzählt?«, brauste ich auf. Mein Verdacht fiel sofort auf den Arzt, der mich vor einigen Tagen aus Jasmines Zimmer geworfen hatte.
    »Warum regen Sie sich so auf? Ich habe die Zeitungen gelesen und im Lokalteil wurde über die Angelegenheit berichtet. Auch Ihr Name wurde genannt.«
    Seit wann hatte ich keine Zeitung mehr aufgeschlagen? |232| Die Sache mit Jasmine hatte mich aus der Spur geworfen und mich in einem Sumpf aus Einsamkeit versinken lassen. Am schlimmsten war die totale Abschottung von den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Meine Tochter hatte ich seit Wochen nicht gesehen, wir hatten noch nicht einmal miteinander telefoniert. Sie hatte mir auf die Mailbox gesprochen, aber ich hatte nicht zurückgerufen. Danach kam nichts mehr von ihr. Aglaja war nachtragend, genau wie ihre Mutter. Auch meine Freunde Gina Aliprandi und der »Capitano« waren aus meinem Leben verschwunden. Sorgen würden sich die beiden keine machen, Essam und Zainab hatten sie bestimmt informiert, dass es mich noch gab. Aber gemeldet hatte sich niemand.
    »Meiner Meinung nach wiegt der Tod einer afrikanischen Prostituierten genauso schwer wie der Tod eines deutschen Professors.«
    Er versuchte krampfhaft zu lächeln, was allerdings gründlich missriet. »Wie ich Sie einschätze, wird Ihre Zuneigung zu dieser Frau jetzt noch stärker werden.«
    »Wissen Sie, was ich denke,
Professore
? Es war nicht allein der Krebs, der Sie zerfressen hat. Der in all diesen Jahren aufgestaute Hass war viel schlimmer   …«
    »Sie haben recht,
Signor
Pagano, der Hass hat meine Seele zerstört. Aber wie wäre es Ihnen an meiner Stelle gegangen? Mein Vater hat wegen dieser Frau sein Vaterland verraten. Er hat wegen dieser Frau seine Schwester gebeten, ihre Heimat zu verlassen, um sich um sie und ihren Sohn zu kümmern und sie   …«, er hatte Mühe, sich zu beherrschen, »schickt ihn zum Dank in dieses verfluchte Kino.«
    Die blassblauen Augen in seinem erdfarbenen Gesicht verrieten ohnmächtige Wut, aus seinem Mund hing ein Speichelfaden. Seine zitternden Hände umklammerten den auf dem Schoß liegenden Filzhut.
    |233| »Ich kann Sie gut verstehen, das tut weh. Aber Sie irren sich.«
    »Sie wollen mir doch nicht erzählen   …«
    »Woher wissen Sie eigentlich, dass Tilde über dieses Attentat informiert war?«
    Nur mit großer Mühe gelang es ihm, ruhig zu bleiben. Lange würde er dieses Gespräch nicht weiterführen können. Er starrte auf den Hut, den er hin und her drehte, als ob der weiche Stoff ihm die nötige Energie spenden könnte, um sich zu beherrschen.
    »Meine Tante beschrieb das Verhalten meiner Mutter am Gardasee als kühl und distanziert. Sie schien ihre Umgebung gar nicht wahrzunehmen, vielleicht dachte sie an den Partisanen, mit dem sie verlobt war. Als die Nachricht vom Tod meines Vaters kam, hat sie nicht eine Träne vergossen. Sie zeigte weder Schmerz noch Verwirrung, sie schien auch nicht überrascht. Meine Tante meinte, die Nachricht sei wie eine Befreiung für sie gewesen. Nach der Geburt wollte sie mich nicht mehr sehen, sie wollte nur eines: nach Genua zurückkehren. Das war natürlich nicht möglich, deshalb nahm sie eine Stelle in der Nähe von Brescia an.
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