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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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verzeihen. Einige Wochen später kam der unglückselige Tag mit Iolanda. Biscia war ein geborener Widerstandskämpfer, ein präziser Schütze. Auf ihn war jederzeit Verlass. Genauso schnell wie er an einem Einsatzort auftauchte, war er auch |228| wieder verschwunden. Unser Brigadenführer wollte, dass er weiterkämpft, aber er flüchtete in die Berge. Er nahm einen neuen Namen an. Der Name Biscia war zusammen mit Iolanda gestorben.«
    Einige Minuten lang herrschte tiefes Schweigen, wir genossen die Sonne und beobachteten die Leute, die auf der Via Sestri unterwegs waren. Ich nahm die Pfeife aus der Jackentasche, stopfte sie und zündete sie an. Fast fürsorglich umfing mich der Blick seiner großen trüben Augen, er schien nach den richtigen Worten zu suchen. Als ob nicht ich, sondern der junge Biscia vor ihm sitzen würde. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Ich wollte ihn wissen lassen, was ich wusste. In wenigen Sätzen schilderte ich ihm meinen Besuch bei Gino.
    Olindo wurde blass, er straffte sich und leerte sein Glas. Regungslos verharrte er einige Minuten. Als er sich wieder gefangen hatte, wischte er sich mit dem Handrücken über die Lippen und fragte: »Was wirst du tun, jetzt, wo du die Wahrheit kennst?«
    Ich spürte die Wärme in seiner Stimme, er klang fast wie ein besorgter Vater. Er hatte genug gelitten, und so gab ich ihm eine Antwort, die ihn beruhigen würde. Das hatte er verdient. Wie ich die Geschichte für mich abschließen würde, das mussten die kommenden Tage zeigen.
    »Was ich immer nach Klärung eines Falls mache: Ich werde meinen Auftraggeber anrufen und mein Honorar einfordern.«

|229| Das Erbe
    Der uniformierte Polizist wirkte wie ein Schläger. Um die vierzig, muskulöser Körperbau, deformiertes Gesicht. Die Stiefel glänzten, die Mütze war tief ins Gesicht gezogen, Schlagstock und Pistole waren einsatzbereit. Die meiste Zeit verbrachte er damit, auf die Uhr zu schauen. Er schob den Ärmel der Jacke zurück und entblößte eine protzige Taucheruhr, die mindestens ein halbes Kilo wiegen musste. Schon auf den ersten Blick war klar, dass ihm dieser Job keinen Spaß machte und er lieber woanders wäre. Die Beine übereinandergeschlagen, saß er da und stierte mich mit einer Mischung aus Verachtung und Misstrauen an. In seinem Gesicht war unschwer zu erkennen, was er von mir hielt. Wenn die Frau, die er zu bewachen hatte, eine Hure von der Elfenbeinküste war, dann konnte der Mann, der im Flur vor ihrem Zimmer wartete, nur ihr Zuhälter sein.
    Auch ich sah auf die Uhr. Halb elf. Professor Hessen kam zu spät. Nach Olindos Offenbarung hatten wir am vergangenen Samstagnachmittag miteinander telefoniert. Ich hatte ihm eröffnet, der Fall sei abgeschlossen, ich hätte seinen Bruder gefunden. Er hatte sich auch nach meiner Freundin erkundigt und mir dann versichert, er würde am Mittwoch in Genua eintreffen. Wir hatten uns für zehn |230| Uhr verabredet, genau dort, wo wir uns zwei Wochen zuvor kennengelernt hatten.
    Ich sah ihn um die Ecke hasten. Fürchtete er, zu seinem Triumph zu spät zu kommen? Der elegante Kamelhaarmantel schlotterte bei jedem Schritt, er wirkte noch ausgezehrter, als ich ihn in Erinnerung hatte. Wie beim letzten Mal hielt er seinen Filzhut in den Händen. Hing das mit dem Ort des Treffens zusammen? War ein Krankenhaus in den Augen eines Kranken eine sakrale Stätte, an der man den Hut absetzen muss?
    Als der wachhabende Polizist ihn sah, geriet er in Unruhe. Er wollte gerade nach der Beretta greifen, aber ich hielt ihn zurück: »Ganz ruhig, ich bin Privatdetektiv und das ist mein Mandant.«
    Ich reichte ihm eine Kopie meiner Lizenz, aber er wusste nicht so recht, was er damit anfangen sollte. Schließlich gab er sie mir zurück und befahl, mich von der Tür zur Intensivstation zurückzuziehen. Schließlich hatte er das Sagen. Ich setzte mich ans Ende des Ganges und Hessen nahm neben mir Platz, genau wie beim ersten Mal.
    »Buongiorno, Signor Pagano«,
begrüßte er mich. Das ironische Lächeln in seinem von der Krankheit gezeichneten Gesicht war nicht zu übersehen. Seine Haut hatte sich gelblich verfärbt, das Atmen fiel ihm offenkundig schwer.
    »
Buongiorno, Professore.
Ich nehme an, Sie wollen wissen, was aus Ihrer Inszenierung geworden ist.«
    Er nickte.
    »Ich bin gekommen, um den letzten Triumph meines Lebens auszukosten. Sie haben meinen Bruder also gefunden.« Ich sah ihn von der Seite an und nickte. »Von einem Ermittler mit Ihrem Renommee hätte ich eine
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