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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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Gesicht.
    »Haben Sie fünf Minuten Zeit für mich?«
    »Bitte.« Ich wies auf den Stuhl zu meiner Linken. Auf dem Stuhl rechts von mir lag meine Jacke.
    »Könnte ich Sie unter vier Augen sprechen?«
    »Nein. Ich bleibe hier.«
    »Verstehe«, er nickte, »aber könnten wir uns vielleicht dort hinten hinsetzen?« Er wies auf die Sitzreihe am Anfang des Flurs. Ich seufzte und blickte fragend zu dem Wachposten hinüber. Er lächelte beruhigend. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe noch vier Stunden Dienst und werde das Zimmer nicht aus den Augen lassen.«
    |21| »Sie haben Angst«, sagte der Mann, »ich werde es kurz machen. Mein Name ist Kurt Hessen, ich komme aus Köln.« Nervös legte er den Hut auf einen Stuhl, um dann sofort wieder danach zu greifen.
    »
Colonia «
, präzisierte er.
    Ich nickte ihm aufmunternd zu.
    »Ich habe bis zu meiner Pensionierung an der Universität Italienisch gelehrt, daher meine Sprachkenntnisse. Eine Dame sagte mir am Telefon, dass ich Sie hier finden würde.«
    Meine Putzfrau Zainab hatte sich wieder einmal als meine Sekretärin ausgegeben.
    »Ich möchte Sie mit Ermittlungen betrauen   …«
    »Nicht jetzt. Hinter dieser Tür liegt eine Frau, die mir sehr wichtig ist.«
    »Ich verstehe«, er nickte wieder, »aber lassen Sie mich wenigstens mein Anliegen vortragen. Es wird nicht lange dauern, das versichere ich Ihnen.«
    Ich warf einen Blick auf die immer noch geschlossene Tür und nickte ihm zu.
    »Ich suche meinen Bruder. Ich weiß weder, wie er heißt, noch, wo er wohnt. Ich habe ihn noch nie gesehen und besitze nicht einmal ein Foto von ihm.«
    »Na prima.«
    »Ich weiß nur, dass er der Sohn einer Italienerin namens Nicla ist, die seit dreißig Jahren tot ist. Wahrscheinlich lebt er in Sestri Ponente, dem Geburtsort seiner verstorbenen Mutter.«
    »Ist Ihr Bruder Deutscher oder Italiener?«
    Ein leichtes Lächeln trat auf seine Lippen und er nickte ein drittes Mal. »Stimmt, dieses wichtige Detail habe ich Ihnen vorenthalten. Nicla war auch meine Mutter. Mein Vater hieß Helmut Hessen. Im Zweiten Weltkrieg war er Wehrmachtsoffizier in der deutschen Kommandantur |22| in Genua. Er starb am 15.   Mai 1944 bei einer Bombenexplosion in einem Kino im Stadtzentrum.«
    »Das Odeon in der Via Vernazza.«
    »Genau. Ich habe ihn nie kennengelernt. Ich wurde im Herbst 1944 in Gargano am Gardasee geboren, die Schwester meines Vaters lebte dort mit ihrem Mann. Im November des gleichen Jahres sind sie dann nach Köln gezogen, aber meine Mutter wollte nicht mitkommen und hat mich meiner Tante anvertraut. Meine Tante meinte, Nicla sei im Widerstand gewesen, aber das hat sie vielleicht nur erfunden, weil sie eifersüchtig war. So wuchs ich bei Onkel und Tante auf. Sie hatten keine eigenen Kinder und es hat mir an nichts gefehlt. Außer an der Wahrheit.«
    »Will sagen?«
    »Sie haben mich immer in dem Glauben gelassen, meine Mutter wäre während der Geburt gestorben. Sie hätten mich zu sich genommen, als ich wenige Tage alt war. Erst vor zwei Monaten, kurz vor ihrem Tod, hat mir meine Tante die Wahrheit gesagt.«
    »Und die wäre?«
    »Mein Vater und Nicla hatten eine Affäre. Nicla wurde schwanger. Damit sie mich an einem sicheren Ort zur Welt bringen konnte, hatte er sich einen Fluchtplan überlegt, den er aber nicht mehr in die Tat umsetzen konnte. Sein Adjutant, ein junger Unteroffizier, brachte meine Mutter schließlich nach Gargano. Dort wurde sie schon von meiner Tante und meinem Onkel erwartet, die eigens nach Italien gekommen waren. Im Herbst kam ich zur Welt.«
    »Und was ist mit Ihrem Bruder?«
    »Meine Mutter hat nach dem Krieg einen Italiener geheiratet und noch einen zweiten Sohn bekommen. Er ist somit einige Jahre jünger als ich. Ich bitte Sie, finden Sie ihn für mich.«
    »Warum?«
    |23| »Ich bin sehr krank und möchte ihn noch kennenlernen, bevor ich sterbe.«
    »Woher hatte Ihre Tante all diese Informationen?«
    »Ich glaube, von dem ehemaligen Adjutanten meines Vaters. Er lebte in Mannheim und kam uns mindestens einmal im Jahr besuchen. Vor etwa zehn Jahren ist er gestorben. Mit mir hat er nie über diese Sache gesprochen.«
    »Ich nehme an, Ihre Verwandten wollten das nicht.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Ihre Mutter hieß Nicla, sagten Sie. Und weiter?«
    »Nichts weiter, mehr weiß ich nicht. Glauben Sie mir, ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt und eigene Nachforschungen angestellt, aber ohne Erfolg.«
    Mein Blick kehrte zur Tür der Intensivstation zurück. Ich
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