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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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hinunterschlenderten, zogen sie die Blicke der Passanten auf sich, teils bewundernd, teils voller Missgunst.
    Der Offizier schwieg. Fast zärtlich wanderte sein Blick über ihren Körper. Ganz anders als Maestris Stieren. Die Schönheit der jungen Frau schien ihn noch trauriger zu |15| stimmen. Sein Schweigen erschien Tilde endlos. Plötzlich war ihre Angst wieder da. Endlich begann der Deutsche zu sprechen.
    »Wie alt sind Sie,
Signorina

    »Neunzehn.«
    Der Polizist unterbrach schroff: »Es heißt: ›Neunzehn,
Signore
‹.«
    Hauptmann Hessen brachte ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen. Sein Blick ruhte weiter auf Tilde.
    »Wie heißen Sie?«
    Sie nannte ihren Namen und setzte hinzu: »
Signore
.« Dabei schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen.
    Hessen lächelte kaum merklich zurück. »Was haben Sie um Mitternacht auf dieser Straße zu suchen?«
    Sie zeigte auf die Tasche, zog den Kanten Brot und die Bohnen heraus und wiederholte die Geschichte von der kranken alten Tante. Währenddessen dachte sie über das gute Italienisch des Wehrmachtsoffiziers nach. Wo er das wohl gelernt hatte? Wenn der Akzent nicht wäre, niemand würde bemerken, dass er Deutscher war. Einen Dolmetscher brauchten sie jedenfalls nicht. Warum verschwand dieser Arschkriecher von Maestri nicht endlich?
Hau endlich ab und geh weiter Partisanen foltern, du Mörderschwein.
    »Haben Sie keine Angst, dass Ihnen etwas passiert?«
    »Angst machen mir nur die Bomben,
Signore.
«
    »Wir haben sie erwischt, als sie auf dem Weg zu den Partisanen war, Hauptmann«, schaltete sich Maestri ein, »sie ist einer ihrer Kuriere.«
    »Wir behalten sie erst einmal hier und überprüfen die Geschichte mit der Tante. Wenn sie die Wahrheit sagt, lassen wir sie laufen.«
    »Aber unsere Quellen   …«
    Hessen schnitt ihm das Wort ab: »Ha! Eure ›Quellen‹! |16| Die würden für ein Kilo Brot ihre eigene Mutter verkaufen.«
    Er rief nach seinem Adjutanten, der sofort die Tür aufriss, als hätte er direkt dahinter gestanden, um zu lauschen. Hessen erteilte auf Deutsch einige knappe Befehle. Dann wandte er sich Tilde zu und bedeutete ihr aufzustehen. Sie gehorchte. Plötzlich spürte sie wieder die schmerzende Stelle unter ihrem Fuß, dort, wo sie das Loch gestopft hatte.
    »
Mi dispiace, Signorina
, aber Sie müssen leider hierbleiben. Nennen Sie Sergente Walden bitte Name und Adresse Ihrer Tante. Wenn alles in Ordnung ist, können Sie morgen früh wieder zur Arbeit.«
    »Mit meinem Fahrrad?« Bevor sie das Zimmer verließ, drehte sich Tilde noch einmal um.
    »Selbstverständlich.«
    Während Walden die Tür schloss, schnappte sie Fetzen eines Gesprächs zwischen Hessen und Maestri auf.
    »Meine Informantin ist verlässlich. Die Hure lügt doch.«
    »Wir werden sehen«, antwortete der Deutsche knapp.
    Man sperrte Tilde in ein Zimmer im zweiten Stock. Allein. Sie setzte sich auf die Holzbank, zog als Erstes den linken Schuh und den Strumpf aus und begutachtete die Blase. Sie war münzgroß, und als sie mit dem Finger darüberfuhr, spürte sie, dass sie prall mit Flüssigkeit gefüllt war. Sie zog Strumpf und Schuh wieder an und blickte auf ihre kleine Armbanduhr, ein Kommunionsgeschenk ihrer Mutter. Die Uhr zeigte noch immer Viertel nach elf. Tilde hatte vergessen, sie aufzuziehen. Sie fröstelte und hüllte sich fester in ihren Mantel. Dann legte sie sich auf die harte Holzbank, die Tasche schob sie unter den Kopf. Sie zitterte am ganzen Körper, und obwohl sie todmüde war, wusste sie, dass sie kein Auge zutun würde. Die Gedanken schwirrten durch ihren Kopf wie wild gewordene |17| Hummeln. Vom Flur drangen deutsche Wortfetzen und das Knallen von Soldatenstiefeln auf dem Marmorboden ins Zimmer.
    Die Stunden krochen unendlich langsam dahin. Als sie endlich den Schlüssel im Schloss hörte, war es draußen noch dunkel. Hauptmann Hessen trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er war allein. Er wirkte jetzt weniger müde, weniger traurig.
    »Es ist alles in Ordnung,
Signorina.
« Sein Lächeln verriet unerwartete Erleichterung. »Meine Leute haben mit Ihrer Tante gesprochen. Sie können gehen.«
    Bevor er die Tür wieder öffnete, sah er ihr tief in die Augen und flüsterte: »Aber keine Ausflüge mehr bei Ausgangssperre. Und vor allem: Hüten Sie sich vor schlechtem Umgang!«
    Mehr sagte Hessen nicht. Er begleitete Tilde den langen Flur entlang bis in die Halle, wo er sie einem müde aussehenden Soldaten übergab. Dieser brachte sie nach draußen
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