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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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sich die Tür. Ohne auf sein Angebot einzugehen, sprang ich auf und stürzte auf den Arzt zu, der im grünen Operationskittel aus der Intensivstation trat. Er war klein und rundlich, sein Gesicht wirkte grau und müde. Der Polizist legte die Zeitung beiseite und stand auf. Die Spannung war jetzt mit Händen zu greifen.
    Der Arzt schloss die Tür hinter sich. »Die Operation ist gut verlaufen«, begann er. Ich wusste nur zu gut, dass dieser Satz nichts zu bedeuten hat. »Wir haben die Patientin in ein künstliches Koma versetzt, um die Heilung zu fördern.«
    »Wird sie es schaffen?«, fragte ich ängstlich.
    Der Mann sah mich an, als hätte ich ihn gerade um ein Almosen angefleht. »Es besteht keine akute Lebensgefahr, wenn nichts Unvorhergesehenes eintritt. Aber mit Sicherheit können wir das erst nach achtundvierzig Stunden sagen.«
    »Keinerlei Prognose?«
    Er zog die Augenbrauen hoch und atmete tief durch. »Es wird ein langer Weg. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Gehen Sie nach Hause, widmen Sie sich Ihrem Alltag. Konkretes gibt’s frühestens in einer Woche.«
    »Besuch?«
    Er hob abwehrend die Hände. »In achtundvierzig Stunden, vorher nicht.«
    Ich bedankte mich und er verschwand wieder hinter der Tür. Mehr würde ich nicht erfahren.
    Als ich mich umdrehte, war der Deutsche gegangen. Ich war erleichtert. Wegen der Worte des Arztes oder weil der Alte verschwunden war? Ich wusste es nicht so genau. |27| Aber eines war mir klar: Ich musste unbedingt schlafen. Schlafen und vergessen. Die Vorstellung, dass ein geliebter Mensch einfach so sterben kann, ohne sich zu wehren, ohne wieder zu Bewusstsein gekommen zu sein, war auf Dauer unerträglich für mich.
    Ich nickte dem Polizisten zu, griff nach meiner Jacke und ging die Treppe hinunter. Als ich die überfüllte Eingangshalle des Hospitals betrat, wusste ich plötzlich nicht mehr, wo ich meine Vespa geparkt hatte. Ich ging nach draußen. Fahles Sonnenlicht blendete meine müden Augen, war aber noch zu schwach, um Wärme zu spenden. Der Alte hatte auf mich gewartet, eine glimmende Zigarette zwischen den Lippen. Den Hut hatte er aufgesetzt, die Hände in den Manteltaschen vergraben.
    Er kam auf mich zu und fragte: »Gute Nachrichten?«
    »Für Sie oder für mich?«
    Er nahm die Zigarette aus dem Mund und lächelte leise. »Das macht keinen Unterschied, glaube ich. Sitzen wir nicht im selben Boot?«
    Ich zog meine Pfeife aus der Jackentasche, stopfte sie bedächtig und zündete sie an. Seit sechzehn Stunden hatte ich nicht mehr geraucht. Der Mann hatte erneut ins Schwarze getroffen. Es bestand keine akute Lebensgefahr und ich musste warten. Da konnte ich genauso gut etwas tun, um mich von den Gedanken an Jasmine abzulenken.
    »Zeigen Sie mir noch mal den Scheck?«
    »Den für den Vorschuss?«
    »Genau den.«
    Er griff in die Innentasche seines Mantels und wie von Zauberhand tauchte der Scheck zwischen seinen Fingern auf. Dieses Mal wedelte er nicht damit in der Luft herum, sondern ließ mich das Papier in aller Ruhe betrachten. Ich hatte mich nicht getäuscht: vierzigtausend Euro. Zu viel für einen Vorschuss.
    |28| »Stellen Sie mir einen anderen aus. Dreitausend reichen.«
    Er runzelte die Stirn und beäugte mich voller Misstrauen.
    »Das ist mein Tarif, fünfhundert am Tag.«
    Seine Hand zitterte leicht, als er sich die Zigarette wieder zwischen die Lippen steckte und ein Scheckheft zückte. Er stellte einen Scheck über dreitausend Euro aus und reichte ihn mir. Ich wollte ihm den anderen zurückgeben, doch er lehnte ab. »Behalten Sie ihn, als Pfand. Sie müssen ihn ja nicht einlösen.«
    Dann zog er den Hut, wünschte mir Erfolg bei meinen Recherchen und ging auf ein in der Nähe wartendes Taxi zu.

|29| Biancoamaro
    Sestri Ponente, Januar 1944
     
    Etwas gehetzt betrat Tilde die Bar am Pontinetto, der kleinen Brücke an der Via Sestri. Sie war eine Viertelstunde zu spät. Zuvor hatte sie noch die Blase unter ihrem Fuß verarztet, ihrer Mutter eine Spritze gegeben und ihrem Vater das Kochgeschirr gefüllt. Draußen malte die Nachmittagssonne lange Schatten auf den Bürgersteig und kündigte eine weitere Nacht mit Ausgangssperre an.
    Die Luft in der Bar war zum Schneiden, der minderwertige Tabak stank nach Pferdestall und brannte schlecht. Auf Lebensmittelkarten gab es gerade einmal dreißig Zigaretten pro Woche, viel zu wenig für einen richtigen Raucher, da musste man sich anders behelfen.
    Sie schloss die Tür hinter sich und ging schnurstracks auf
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