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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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einen Tisch zu, die begehrlichen Blicke der Männer am Tresen beachtete sie nicht. Der Mann hatte sie schon erwartet, die ›Il Secolo XIX‹ vor sich ausgebreitet. Tilde setzte sich so, dass sie den Tresen im Rücken hatte. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie hatte einiges zu berichten und fürchtete, man würde mehr von ihr verlangen, als sie zu geben bereit war.
    Wie alt ihr Gegenüber tatsächlich war, ließ sich schlecht |30| sagen, Mitte zwanzig, vielleicht aber auch schon dreißig. Er wirkte jedoch wesentlich älter, was wahrscheinlich an der großen Verantwortung lag, die auf seinen Schultern lastete. Äußerlich wirkte er unerschütterlich, aber wer etwas über seine wahren Gefühle wissen wollte, musste ihm nur in die trüben rauchgrauen Augen blicken. Das bartlose, leicht gelbliche Gesicht war von Narben gezeichnet, wahrscheinlich die Folgen einer Pubertätsakne. Er war Bäcker bei Gaggero, seit elf Uhr hatte er Feierabend.
    »Sie haben mich in der Kurve am Friedhof erwischt. Ich musste über Nacht im Miramare bleiben   …«, begann sie leise.
    »Was willst du trinken?«, fiel er ihr ins Wort.
    Sein Benehmen gefiel ihr gar nicht. Sie wurde nicht gerne wie ein Kind behandelt, auch nicht von denen, die das Sagen hatten. Er lugte über ihre Schulter hinweg und flüsterte: »Es regnet.« Er sprach Dialekt. Ein Zeichen, dass Polizisten in der Nähe waren und sie nicht reden konnten.
    Der Mann zeigte auf einen Artikel in der Zeitung. Ein Messerstich hätte nicht mehr schmerzen können. In nüchternen Worten wurde von einer Schießerei in Cairo Montenotte berichtet, an der Fulvio und drei weitere Partisanen aus Savona beteiligt gewesen waren. Obwohl sie bereits davon gehört hatte, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Doch selbst weinen durfte sie nicht, auch das war verdächtig.
    »Was trinkst du?« Er blieb hartnäckig.
    »Keine Ahnung.«
    Er winkte dem Barkeeper und bestellte im Genueser Dialekt zwei Biancoamaro.
    Die Polizisten schienen gegangen zu sein, der Mann wirkte jetzt ganz entspannt.
    »Glaubst du, sie sind mir gefolgt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ganz ruhig! Sie waren schon |31| vor mir da, alles reiner Zufall.« Der Wermut wurde serviert, er faltete die Zeitung zusammen und nippte an seinem Glas.
    »Du hast also die Nacht im Miramare verbracht.« Er lächelte. »Haben sie dir eine Luxussuite angeboten?«
    »Woher willst du wissen, dass sie mich nicht gefoltert haben?«
    »Biscia hat mir alles erzählt.«
    Tilde nahm ihr Glas und senkte die Augen.
    »Nicht alles.«
    »Was sonst noch?«
    »Ein deutscher Hauptmann hat dafür gesorgt, dass Maestri die Finger von mir lässt.«
    »SS?«
    »Wehrmacht. Sein Name ist Hessen und der junge Sergente, sein Adjutant, heißt Walter oder Walden.«
    Auf die Lippen ihres Gegenübers trat ein anzügliches Lächeln. Sie konnte sich vorstellen, was er jetzt dachte und zuckte zusammen.
    »Bist du sicher, dass eine Frau dahintersteckt?«
    »Die Tür war zwar geschlossen, aber ich habe es genau gehört. Maestri sprach von einer Informantin,
auf die man sich verlassen kann.
«
    »Das macht Sinn. Erst Sandra, dann Mariù, jetzt du. Es muss eine undichte Stelle geben. Eine Verräterin, die den Faschisten geheime Informationen liefert. Wie sonst hätten sie wissen können, dass du auf dieser einsamen Straße unterwegs bist? Hast du eine Idee, wer es sein könnte?«
    »Was meinst du damit?«
    »Freundinnen, Nachbarinnen, jemand aus der Kantine. Wer wusste, dass du auf den Monte Gazzo wolltest?«
    Sein Verhör ging ihr auf die Nerven.
    »Was soll denn das! Meinst du, ich kann den Mund nicht halten?«
    |32| »Wie haben sie es dann erfahren?«
    »Vielleicht wegen meiner Tante.«
    »Meinst du, es kam ihnen verdächtig vor, dass du alle zwei Tage deine Tante besuchst?«
    »Ich nehme es an.«
    »Wer weiß das mit deiner Tante?«
    »Nachbarinnen, Freundinnen, Kolleginnen, alle.«
    Er hatte sein Glas geleert und bestellte einen zweiten Biancoamaro. Tildes Glas war noch voll. Der Mann kratzte sich am Kopf und blickte sie schief an. »Biscia wundert sich, dass sie dich einfach so haben gehen lassen. Ein Typ wie Strappaunghie   …«
    »Vor den Deutschen kriecht er wie ein Wurm!«, fiel sie ihm ins Wort.
    Ohne es zu wollen, reagierte sie aggressiv, was dem Mann nicht verborgen blieb. Er sah sie lange an, sagte aber kein Wort. Sein Blick traf sie bis ins Mark. Es gab kein Entkommen. Sie wurde rot.
    »Sag mal Olindo, wofür hältst du mich eigentlich?«
    Er saß ganz ruhig da und
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