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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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spitz.
    »Was willst du damit sagen?«
    Die Frau verzog das Gesicht und stellte wortlos das Tablett mit dem dünnen Kaffee, der Scheibe Brot und dem Stück Hartkäse auf das Tischchen, um das unberührte Essen des Vorabends mitzunehmen. Dann ging sie zur Tür, blieb dort stehen und schaute zurück. »Du bist kein guter Mensch«, presste sie hervor. »Wegen dir mussten zahlreiche Menschen Höllenquallen erleiden und andere sogar sterben. Aus diesen Gründen, Gesche Gottfried, wird es für dich keinen Platz im Himmelreich geben«, erklärte sie und klopfte hastig gegen die Tür.
    »Ich habe mich aufopferungsvoll um meine Familie gekümmert. Nicht umsonst hat man mich ›Engel von Bremern genannt!«, schrie Gesche außer sich. Als die Tür geöffnet wurde, drehte sich die Frau wieder zu ihr um und sagte gehässig: »›Todesengel‹ wäre wohl passender gewesen!« Dann schlüpfte sie hinaus und die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss.
    Gesche schlug erneut mit der Faust auf das Laken. »Wenn ich nur könnte, wie ich wollte, dann wärst du die Nächste«, murmelte sie und legte sich mit wutverzerrtem Gesicht erschöpft zurück aufs Bett. Selbst im Liegen wurde ihr schwindlig und Übelkeit stieg in ihr hoch. Sie war sich sicher, dass, wenn sie etwas im Magen gehabt hätte, sie sich hätte übergeben müssen.
    So aber würgte sie nur. Widerwillig blickte sie zu dem Frühstück. »Für nichts auf der Welt werde ich auch nur einen Bissen davon nehmen.« Seit Wochen versuchte Gesche, sich zu Tode zu hungern, da sie hoffte, so ihrem Schicksal entgehen zu können.
    Das flaue Gefühl ließ langsam nach, ebenso der Brechreiz. Der letzte Satz der Frau kam Gesche wieder in den Sinn. Todesengel! Pah, dachte sie. Die Menschen haben mich geschätzt, denn ich bin etwas Besonderes. Obwohl ich aus einfachen Verhältnissen stamme, kann ich tanzen und sogar französisch sprechen. Auch bin ich ordnungsliebend und fleißig. Viele Bremer haben mich bewundert, weil ich mich selbstlos um meine kranken Familienangehörigen gekümmert habe. Manch einer hat mich auch bedauert, da er glaubte, dass Gott mich mit dem Leid meiner armen Angehörigen prüfen wolle, verteidigte sie sich in Gedanken und lachte innerlich gehässig auf. Allerdings war sich Gesche bewusst, dass einige Bremer Bürger hinter ihrem Rücken geflüstert hatten. Gerüchte, dass ihr Atem giftig sei und jeder, der in ihre Nähe käme, davon krank werden würde, machten die Runde. »Was interessiert mich deren Geschwätz von gestern«, sagte sie herablassend. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie mit dem kleinen Erbe, das ihr der Weinhändler hinterlassen hatte, nicht so verschwenderisch umgegangen wäre. Womöglich hätte sie dann das Haus in der Pelzerstraße nicht verkaufen müssen. Doch was sollte es? Sie wäre nicht Gesche Margarethe Gottfried gewesen, wenn sie nicht bald darauf die Lösung ihres Problems gefunden hätte. Und die hieß Paul Thomas Zimmermann. Der Modewarenhändler versprach ihr erneutes Lebensglück und machte ihr den Hof, sodass Gesche im Jahr 1823 seinem Werben nachgab. Mittlerweile hatte Gesche Schulden angehäuft, weshalb sie ihren Bräutigam um ein Darlehen bat, das er ihr gerne bewilligte. Wie leicht die Männer zu beeinflussen sind, triumphierte Gesche innerlich auf. Da sie wusste, dass sie das geliehene Geld nicht zurückzahlen konnte und im Grunde auch nicht wollte, musste sie sich rasch ihres Verlobten Paul entledigen. Zu ihrem Arger war der Vorrat an Mäusebutter aufgebraucht. Doch der liebe Gott - so meinte Gesche - schickte ihr ein Zeichen, denn sie stieß beim Durchblättern einer Zeitung auf eine Anzeige, die das weit bekannte Gift gegen Ungeziefer anpries. Um nicht selbst damit in Verbindung gebracht zu werden, schickte Gesche ihre Magd zur Apotheke. Ahnungslos, wofür die Mäusebutter gebraucht wurde, besorgte Beta Schmidt ihr das Gift.
    Um zu prüfen, wie stark die Mischung des Arsens in dem Fett war, schmierte Gesche ihrem Verlobten mehrmals eine dünne Schicht der Mäusebutter auf Zwiebäcke. Zwar wirkte bei ihrem Bräutigam das Gift schneller, als sie vermutet hatte, trotzdem starb er unter qualvollen Schmerzen. Durch ihre aufopferungsvolle Fürsorge während seines Leidens schien Paul Thomas Zimmermann dermaßen geblendet zu sein, dass er Gesche schon vor der Ehe, die nicht mehr geschlossen werden konnte, in seinem Testament bedachte.
    »Armer Paul«, seufzte Gesche scheinheilig. »Er hat nicht einmal geahnt, dass ich
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