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Bitte sagen Sie jetzt nichts

Bitte sagen Sie jetzt nichts

Titel: Bitte sagen Sie jetzt nichts
Autoren: Loriot
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als langweilig, trostlos oder bedrohlich erwiesen. Abgesehen davon, dass man sich heute einen Zahn ziehen lassen kann, ohne dass es wehtut. Das war vor hundert Jahren nicht möglich, das ist ein Fortschritt, gut. Aber wenn man aus dem Zugfenster guckt, wenn man in einer Stadt ankommt, ob das nun in Hannover, Ham-burg, München, Wien, Mailand oder Paris ist, sieht es überall genau gleich aus - das ist kein Fortschritt. Der Fortschritt, der darin liegt, dass man überall dieselbe Bautechnik verwendet, dass man möglicherweise anstrebt, in Europa überall dasselbe Geld zu haben, weil es ein Fortschritt ist, weil es einfacher ist, direkt aus der Brieftasche zu bezahlen ... Dies alles, diese Art von Fortschritt, darunter leidet unsere Zeit. Sie wird weniger farbig, sie wird grau. Wir gehen einer grauen Zeit entgegen, was diese Art von Fortschritt betrifft. Und da bin ich sehr pessimistisch, das finde ich sehr traurig.
    von Boehm Ich will Ihnen, weiß Gott, keine Botschaft unterjubeln, aber glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Arbeit etwas gegen diese Form des Fortschritts oder gegen seine Folgen tun können?
    Loriot Es ist winzig, was man da ausrichten kann, winzig. Es ist eine homöopathische Dosis. Nur manchmal haben auf erstaunliche Weise auch homöopathische Dosen ihre Wirkung. Aber ich will gar nicht behaupten, dass das möglich ist, das wäre zu schön. Ich fürchte, das ist eine vergebliche Hoffnung.
    von Boehm Versuchen Sie für sich persönlich, ein wenig gegen den Fortschritt anzuleben?
    Loriot Ja ...
    von Boehm Ich weiß, dass Sie ein preußisches Herrenhaus nach Oberbayern gesetzt haben. Dass Sie zwei Möpse haben oder hatten. Leben die noch?
    Loriot Die ersten beiden nicht mehr. Als sie das biblische Alter von 15 erreicht hatten, war das Hundeleben beendet. Aber inzwischen sind es zwei weitere, die sich nun im besten Alter befinden.
    von Boehm Und das sind Facetten ihres persönlichen Lebens, die darauf schließen lassen, dass Sie versuchen, für sich gegen den Fortschritt etwas zu tun.
    Loriot Soweit ich es kann.
    von Boehm Gibt es noch andere?
    Loriot Schon allein, dass ich mich für die Oper interessiere, ist ja nicht gerade fortschrittlich. Die Oper ist ein absurdes, altmodisches Vehikel, und darum so besonders schön. Eigentlich dürfte es Opern schon gar nicht mehr geben, wenn man so denkt, wie in vielen Bereichen des Lebens heute gedacht wird. Gott sei Dank gibt es sie noch. Opern sind teuer und unnütz und wahnsinnig schön. Und da gibt es natürlich mehrere solche Dinge, auf die ich nicht verzichten möchte. Ich leiste mir Unmodernes. Und ich mag nicht in großen Gesellschaften weit durch die Welt reisen.
    Das interessiert mich überhaupt nicht. Dass man jetzt für wenig Geld in ferne Landstriche reisen, unter Palmen baden und Delphine angeln kann oder so was. Ich finde es vollkommen überflüssig. Mich interessiert diese entfernte Welt nicht, soweit ich sie aus hervorragenden Bildberichten und Dokumentarfilmen kenne. Mich interessiert dieses Land und hier zu Hause zu sein. In Stuttgart oder einer Stadt hier in Deutschland Opernregie zu machen ist viel aufregender, als in Rio de Janeiro an diesem entsetzlichen Karneval teilzunehmen.
    von Boehm Apropos Aufregung: In Ihrer Kindheit waren Sie Komparse auf der Opernbühne. Das muss aufregend gewesen sein.
    Loriot Wahnsinnig aufregend! Ich wohnte in Stuttgart ganz nah bei der Oper - nur die sogenannten Eugensstaffeln hinauf. Von der Oper führt eine Treppe zu einem Platz, dem Eugensplatz, und da wohnten wir. Das heißt, ich brauchte nur die Treppen hinunterzulaufen und war in der Oper. Dort war ich eigentlich am liebsten.
    von Boehm Was haben Sie dargestellt auf dieser Bühne?
    Loriot Ach, was heißt dargestellt ... Ich war Soldat und Kellner und Volk und Seemann und was man so ist als Komparse. Auch gelegentlich schwarz gefärbt. In Aida trug ich, glaube ich, Radames mal rein, mal raus oder so. Wichtig war weniger die Rolle als das aufregende Dabeisein, in der Kulisse zu stehen, zu hören, was gesungen und gespielt wurde. Und die Erregung vor der Premiere und die Angst vor dem Schiefgehen. Das alles ...
    von Boehm Das Gefühl in der Magengrube? Haben Sie das damals zum ersten Mal gehabt? Sie wissen, was ich meine?
    Loriot Ja, natürlich. Das hat sich merkwürdigerweise langsam verloren. Ich habe es nicht mehr. Statt dieses sogenannten Lampenfiebers habe ich die Zweifel an der Richtigkeit bei dem, was ich da tue. Und eigentlich müsste sich daraus das
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