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Bissige Gäste im Anflug

Bissige Gäste im Anflug

Titel: Bissige Gäste im Anflug
Autoren: Franziska Gehm
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Vielleicht wäre er nie wieder aufgewacht. Wäre da nicht dieses Geräusch gewesen. Dieser Lärm, direkt vor dem Kühlraum. Zuerst wurde er von einem Rumpeln und Gebrüll geweckt. Dann hörte er Rauschen, Zischen und Wummern. Dann schrie jemand, es klang wie eine Frau, laut und lange.
    Ludo rappelte sich auf. Er stieg von dem Haufen Maiskolben und kletterte über ein paar Kisten mit Bohnen und Brokkoli zur Tür. Er drückte auf die Klinke. Die Tür war verschlossen. Noch immer. Auf einmal erklang auf der anderen Seite wieder ein Schrei. Dieses Mal meinte Ludo sogar, ein paar Wörter auszumachen. Die Frau auf der anderen Seite schrie nach Quarkkeulchen und Quietscheentchen.
    Ludo runzelte die Stirn. Konnte das sein? Vielleicht waren Quarkkeulchen und Quietscheentchen die Namen von zwei Hunden. Oder ... vielleicht hießen zwei der Riesenfledermäuse so und die Frau war ihre Besitzerin. Allerdings kam Ludo die Stimme irgendwie bekannt vor. Sie klang nur etwas schriller und lauter ... ansonsten ... ja, das konnte Frau Tepes sein! War es Daka, Silvania und Helene tatsächlich gelungen, den Riesenfledermäusen zu folgen? Hatten sie tatsächlich Hilfe geholt? Waren sie nur wenige Meter von ihm entfernt, auf der anderen Seite der Tür? Bei dem Gedanken wurden Ludos klamme Finger gleich ganz warm und weich.
    Ludo lauschte an der Tür. Er zog die Augenbrauen zusammen. Gut möglich, dass ihm seine Freunde zu Hilfe kommen wollten. Doch was er da auf der anderen Seite hörte, klang vielmehr, als bräuchten seine Freunde Hilfe.
    Auf einmal spürte Ludo, dass er nicht allein war. Jemand war im Kühlraum. Mit ihm. Jemand, der ihn schon die ganze Zeit beobachtet hatte. Jemand, der sich jetzt von hinten an ihn heranschlich. Geräuschlos, unaufhaltsam, bedrohlich.
    Ludo stand da wie schockgefroren, wagte es nicht, sich umzudrehen. Nur seine Pupillen bewegten sich. Er schielte nach links und nach rechts. Außer Gemüsekisten war nichts zu sehen. Doch er wusste, dass die andere Person ganz nah war, nur wenige Zentimeter entfernt. Zu nah, als dass Ludo noch hätte fliehen können – und wohin auch, in diesem fensterlosen, verschlossenen Raum? Wer auch immer sich von hinten näherte, es gab kein Entkommen mehr.
    Ludo machte sich auf einen Stoß, eine Hand auf der Schulter oder einen Schlag auf den Kopf gefasst. Vielleicht konnte er sich noch genau im richtigen Moment ducken. Doch da spürte er ihn auch schon: den eiskalten Lufthauch. Er war mindestens zehn Grad kälter als die Luft im Kühlraum. Ludo wusste, dass es zu spät war. Der Hauch glitt über seinen Rücken, kroch über die Schultern, wickelte sich um seinen Hals wie die Schlinge eines Galgens. Zu sehen war nicht mehr als ein feiner Nebel. Er roch wie Tau auf einer einsamen Waldwiese in der Morgendämmerung.
    Der Geist. Er war zurück. Oder war er die ganze Zeit bei Ludo gewesen? War er es, der ihn in den Schlaf gewiegt hatte? Der ihn mit Spinatblättern zugedeckt hatte? Ludo räusperte sich: »Hallo! Ich weiß nicht, ob du mich verstehst. Oder ob du mich überhaupt hören kannst.«
    Der eiskalte Lufthauch fuhr Ludo durch die Haare.
    Ludo fand, das fühlte sich wie ein Ja an. »Vielleicht kannst du ja nicht richtig reden. Aber kannst du mir irgendwie sagen, was du von mir willst?«
    Auf einmal bildete der feine Nebel einen runden weißlichen Kreis. Er drehte sich erst um Ludos Körper, dann um seinen Kopf. Der Nebelkreis drehte sich immer schneller. Er surrte, erst kaum merklich und ganz leise, dann immer deutlicher.
    Ludo versuchte, sich auf einen Punkt an der Wand zu konzentrieren. Hätte er die ganze Zeit auf den kreisenden Nebel gesehen, hätte sich ihm selbst der Kopf gedreht. Was wollte ihm der Geist damit sagen? Vielleicht meinte der Geist: Alles dreht sich nur um dich. Oder Du drehst dich nur im Kreis! oder Du musst dich um 180 Grad drehen! Vielleicht wollte ihm der Geist auch nur sagen, dass er vom Saturn kam, und Ludos Kopf stellte den Planeten dar und der Geist selbst die Saturnringe.
    Ludo biss sich auf die Unterlippe, während er angestrengt überlegte, was ihm der Nebelgeist sagen wollte. Auf einmal hörte er es – das Surren. Er hatte es die ganze Zeit über schon gehört, aber erst jetzt fiel ihm etwas auf: Es war mehr als nur ein Surren! Der Geist war gar nicht stumm. Er redete mit Ludo. Das Surren war ein leiser Singsang, so fein wie der Nebel selbst.
    Ludo verbannte alle Gedanken an den Saturn aus seinem Kopf und lauschte genau auf die Stimme des
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