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Bissgeschick um Mitternacht

Titel: Bissgeschick um Mitternacht
Autoren: Franziska Gehm
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Auf dem Heimweg bildeten die Achselhaare Beulen unter dem Oberteil. Es sah aus, als wären die Schulterpolster nach unten gerutscht.
    Gerade als Daka den Heckenschneider holen und ihre Schwester vom Rapunzelachselhaar befreien wollte, verschwanden die Haare wieder. Seitdem waren sie nicht wieder aufgetaucht.
    Kaum waren Silvanias Achselurwälder weg, bekam Daka Zahnschmerzen. Ihr linker oberer Eckzahn glühte, ziepte und wummerte. Dann begann er zu wachsen. Zunächst freute sich Daka und spießte zum Spaß mit dem Eckzahn allerhand Lebensmittel wie einen Apfel, eine Bockwurst und ein Brötchen auf. Sie machte sich sogar im Haushalt nützlich und half ihrer Mutter beim Öffnen einer Bohnenbüchse. Doch als Daka der Eckzahn bis über das Kinn wuchs und sie sich damit am Hals kratzen konnte, wurde ihr die Sache langsam unheimlich. Wäre der rechte Eckzahn wenigstens mitgewachsen. Aber so sah Daka aus, als hätte sie sich das Horn eines Rhinozerosses in den Mund gesteckt. Silvania versuchte Dakas wild wuchernden Eckzahn mit einer Feile zu kürzen, doch vergebens.
    Je länger Dakas Eckzahn wurde, desto schwerer wurde er auch. Dakas Kopf kippte ständig nach links. Als ihr der Zahn bis zur Brust reichte, begann er sich auch noch zu kringeln. Jetzt sah Daka aus wie ein Mammut mit einem einzelnen Stoßzahn. Dass Silvania die Lage schamlos ausnutzte und Dakas Mammut-Eckzahn zum Aufhängen ihrer Ketten benutzte, fand Daka gar nicht lustig. Gerade, als Daka und Silvania ernsthaft überlegten, ob sie zu Helenes Papa gehen sollten, der Zahnarzt war, schrumpfte der Eckzahn wieder, bis er binnen Minuten seine Normalgröße erreicht hatte.
    Neben diesen äußerlichen Veränderungen wurden die Vampirschwestern von Heißhungerattacken heimgesucht. Mal hatten sie Heißhunger auf Schokolade, mal auf Blut, und Silvania hatte einmal sogar Heißhunger auf marinierte Seepferdchen.
    Außerdem spielten ihre Stimmbänder verrückt. Silvania redete einen ganzen Vormittag lang wie ein Donkosake. Nicht russisch, aber so tief. Daka dagegen piepste drei Stunden lang wie eine Opernsängerin, die ein Cello auf den Fuß bekommen hatte.
    Bis auf die Kreuzpickel auf Dakas Stirn verschwanden all diese merkwürdigen Erscheinungen zum Glück nach ein paar Stunden wieder. Silvania hoffte, mit dem Foliba würde es genauso sein.
    »Ropscho«, sagte Daka. (Das war auch Vampwanisch und hieß so viel wie ›okay‹ oder ›na gut‹.) »Dann bleibst du eben auf dem Klo, bis der Foliba verschwunden ist.«
    »Falls er nicht weggeht, holen wir dich nach der letzten Stunde ab und bringen einen Verband mit«, fügte Helene hinzu.
    Silvania nickte, schielte traurig auf ihren Foliba und schloss sich wieder im Klo ein.
    »Hier«, sagte Daka und schob das erstbeste Buch unter der Klotür durch, das sie in ihrer Tasche finden konnte, »hast du was zum Lesen.«
    Silvania nahm es in die Hand. Es war Dakas Chemiebuch. »Azdio«, sagte sie leise. Sie klang wie eine Königstochter, die eine böse Hexe für die nächsten hundert Jahre aufs Schulklo verbannt hatte. Nur ein mutiger Prinz, der weder Mädchengekreische noch Urinstein fürchtete, konnte sie retten.
    Während Silvania mit einem Oberlippenbart von einem Prinzen ohne Oberlippenbart träumte, eilten Daka und Helene aus dem Mädchenklo und zum Klassenraum.

Der einsame Gipfel
    M artin Graup war seit sechs Jahren Lehrer für Geografie und Geschichte an der Gotthold-Ephraim-Lessing-Schule. Er mochte an seinem Job die Regelmäßigkeit, die Sommerferien und seine Kollegin Frau Renneberg. Er mochte sogar ein oder zwei Schüler. Was er nicht mochte, waren Klassenfahrten, Unpünktlichkeit und den Kaffee im Lehrerzimmer. Deswegen brachte er meistens von zu Hause seine eigene kleine Thermostasse mit. Auf der Tasse war ein Bild von einer Katze und einem Hund, die miteinander kuschelten. Seine Oma hatte sie ihm zu Weihnachten geschenkt.
    Martin Graup hatte den Schülern soeben eine seiner Lieblingsaufgaben erteilt: stilles Lesen. Gerade wollte er einen Schluck von seiner Thermostasse nehmen, als es an der Tür klopfte. Er verzog das Gesicht. Doch dann fiel ihm ein, dass es auch seine Kollegin Renneberg sein könnte. »Herein!«, rief er, steckte den Daumen in die Gürtelschlaufe seiner Jeans und wippte leicht mit den Knien.
    Die Tür ging auf und zwei Mädchen traten ins Klassenzimmer. Ein Mädchen war blond, hatte strahlend blaue Augen und lächelte wie eine brave Zahnarzttochter. Das Einzige, was nicht zu dem Lächeln passte,
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