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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge
Autoren: Richards Emilie
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wie Belinda gewesen. Als sie beide eins wurden, lauschte er dem Regen von New Orleans und dachte bei sich, dass es ihm nichts ausmachen würde, ihm noch eine Weile länger zuzuhören.

3. KAPITEL
    A urore hatte für ihre erste Sitzung mit Phillip den Frühstückssalon ausgesucht. Das Zimmer war luftig und offen, gewärmt von Sonnenlicht und gekühlt durch eine sanfte Brise. Es gab einen gemütlichen runden Tisch, an dem sie sitzen konnten – er mit seinem Notizblock und sie mit der einen Tasse echten Kaffees, die sie pro Tag trinken durfte. Wenn sie erzählte, würde sie draußen die Vögel hören. Und die Vögel würden sie daran erinnern, dass sie schon siebenundsiebzig Jahre alt war und die Ereignisse, von denen sie berichtete, bereits vor langer Zeit geschehen waren.
    Als Phillip ankam, war sie so weit. In der Hoffnung, eine lockere Atmosphäre zu schaffen, trug sie ein bequemes lavendelblaues Kleid und keinen Schmuck. Aber innerlich fühlte sie sich alles andere als locker.
    Phillip betrat das Zimmer, und wieder einmal war sie davon gefesselt, wie gut aussehend und selbstsicher er war. Er hatte ein weißes Hemd und ein dunkles Jackett an, trug jedoch keine Krawatte. Es wirkte fast, als wollte er sich direkt an die Arbeit machen und legte keinen Wert auf Etikette. Er hatte ein Tonbandgerät dabei und hielt es fragend in die Höhe.
    „Ja“, nickte sie. „Ich glaube, das ist eine gute Idee.“
    Es schien ihn zu überraschen, dass sie sich nicht zur Wehr setzte. „Das freut mich. Das macht es mir wesentlich leichter. Allerdings werde ich mir trotzdem Notizen machen.“
    „Sie können das Gerät hier anschließen.“
    Er durchquerte den Raum und begann, das Tonbandgerät aufzubauen. „Ich werde Ihnen die Bänder geben, wenn ich dann mit allem fertig bin.“
    Das würde nicht nötig sein, doch sie hatte nicht vor, ihm das jetzt zu erklären. „Ich habe Lily gebeten, uns eine KanneKaffee und einen Teller von ihren calas zu bringen. Haben Sie die schon einmal probiert?“
    Er beugte sich über die Steckdose. „Ich glaube nicht.“ „Das sind frittierte süße Reisküchlein, typisch für New Orleans. Als ich ein kleines Mädchen war, bekam man sie im Vieux Carré , im French Quarter. Die Frauen, die sie verkauften, trugen bunte tignons kunstvoll um den Kopf, worauf sie geflochtene Weidenkörbe voll mit den köstlichen Reisküchlein balancierten. Manchmal ging ich mit unserer Köchin auf dem French Market einkaufen, und wenn ich besonders lieb war, bekam ich eines.“
    „Klingt nach einem netten Stück des alten New Orleans.“ „Etwas, das ich eigentlich nicht mehr essen darf. Aber manchmal ist Lily nachsichtig.“
    „Machen Sie das oft?“
    „Was?“
    „Die Regeln brechen, die man aufgestellt hat, um Sie zu schützen?“
    Sie lachte. „Sooft ich kann. In meinem Alter gibt es nicht mehr vieles, das beschützt werden müsste.“ Als er sich aufrichtete und sie ansah, fügte sie hinzu: „Darf ich Sie Phillip nennen? Das ist leichter. Und ich hätte gern, dass Sie mich Aurore nennen. Das macht sonst so gut wie niemand mehr. Die meisten meiner engen Freunde sind schon tot, und die nachfolgende Generation hat Angst, dass ich mich ohne eine korrekte Anrede eventuell gekränkt fühlen könnte.“
    Er antwortete nicht, sondern lächelte nur, als hätte sie um etwas Unmögliches gebeten und er wäre zu höflich, um das zu sagen.
    „Haben Sie darüber nachgedacht, wie Sie gern anfangen würden?“, fragte er.
    Eigentlich hatte sie kaum über etwas anderes nachgedacht. Sie war sich noch immer nicht sicher. „Vielleicht können wir es ruhig angehen lassen. Haben Sie Fragen, die Sie stellenmöchten? Hintergrund? Solche Dinge?“
    „Ich bin ein Mann mit unzähligen Fragen.“
    „Gut. Dann versuche ich, die Frau zu sein, die die eine oder andere Antwort hat.“
    Lily – dunkelhäutig, weißhaarig und so dünn, als würde sie ihre eigenen Kochkünste nicht genießen – betrat mit einer Platte goldbrauner, großzügig mit Puderzucker bestäubter calas das Zimmer. Sie stellte die Platte auf einen Tisch und brachte anschließend noch ein Kaffeeservice mit einer großen emaillierten Kanne, die sie ebenfalls auf dem Tisch platzierte. „ Ein Küchlein“, sagte sie entschieden zu Aurore. „Und eine Tasse Kaffee. Ich werde nachzählen.“ Ihre weiße Uniform raschelte, als Lily ging.
    „Das ist ihr Ernst“, lächelte Aurore. „Wir passen zusammen – ich höre nicht auf sie, und sie hört nicht auf mich.“
    „Wie
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