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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug
Autoren: Gudenkauf
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überqueren und zu Bert zu gelangen, der mit ausgestreckten Armen und Beinen reglos auf dem Bauch lag. Bei ihrem Näherkommen löste sich die Gruppe verängstigter Jungen, die sich um Bert versammelt hatte, auf. »Stellt euch da drüben neben dem Gebäude auf«, befahl sie, und die Jungen gehorchten ihr sofort. Mrs Oliver kniete sich nieder, der Stoff ihrer brandneuen Polyesterhose grub sich in den Boden. Berts Augen standen offen, waren aber glasig, wie unter Schock oder großen Schmerzen. »Du lebst!«, stellte Mrs Oliver fröhlich fest, und die Kinder hinter ihr stießen kollektiv erleichtert den Atem aus. »Geht es dir gut, Bert?«, fragte sie, aber Berts Mund öffnete und schloss sich nur stumm wie bei einem Fisch an Land. »Der Aufprall hat dir den Atem verschlagen, hm?« Sie sprach mit der weichen, leisen Stimme, die die Kinder immer so tröstlich fanden. Mrs Oliver legte sich ebenfalls auf den Bauch, um Berts blasses, schmerzverzerrtes Gesicht besser sehen zu können und damit er ihre ruhige, unbesorgte Miene sah. »Alles wird gut, Bert. Lieg einfach nur still, bis Hilfe kommt«, sagte sie beruhigend.
    Bert ging es einigermaßen gut. Er hatte jedoch zwei gebrochene Arme und eine kollabierte Lunge. Nachdem er seine Hände wieder benutzen konnte, hatte er seiner Lehrerin in seiner grauenhaft krakeligen Handschrift einen bezaubernden Brief geschrieben, in dem er ihr dafür dankte, dass sie mit ihm auf die Ankunft des Krankenwagens gewartet hatte. Den Brief besaß Mrs Oliver immer noch, er hing jetzt gerahmt in dem Zimmer, das ihre erwachsene Tochter Georgiana den »Schrein für Mrs Oliver« nannte. Bert Gorse war jetzt fünfundfünfzig Jahre alt, Banker und lebte mit seiner Frau und drei Kindern in Des Moines. Über die Jahre war Mrs Oliver nicht einen Deut von ihrer Überzeugung abgerückt, dass eine Lehrerin unter allen Umständen ruhig und kontrolliert wirken musste. Ganz anders als Gretchen Small, die junge Klassenlehrerin der Fünften, die schon anfing zu hyperventilieren, wenn der Feueralarm aus Versehen anging.
    Mrs Oliver straffte die Schultern, räusperte sich und zwang ihre Stimme, stark und klar zu klingen. »Was wollen Sie?«, fragte sie und trat zwischen P. J. und den Mann mit der Pistole.

MEG
    Ich hadere, ob ich Stuarts Behauptung, ein Bewaffneter sei in die Schule eingedrungen, überhaupt Glauben schenken und deshalb die Zentrale anrufen soll, als sich mein Funkgerät meldet.
    Es ist Randall Diehl, unser Einsatzleiter. »Du musst sofort zur Schule. Wir haben sie abgeriegelt.«
    Marias Schule. Verdammt. Stuart hatte recht.
    »Was ist los?«, frage ich. Seitdem ich hier wohne, hat es erst zwei Vorfälle in der Schule gegeben, einem Gebäude, das von der Vorschule bis zur zwölften Klasse alle Kinder beherbergt. Damit ist sie eine der letzten ihrer Art. Am Ende dieses Schuljahres wird Broken Branchs einzige Schule geschlossen werden; sie ist zu teuer und zu aufwendig im Unterhalt. Der Superintendent und die Schulbehörde sind übereingekommen, sich mit den drei Nachbarorten zusammenzuschließen. Zukünftig wird Marias Schuldistrikt unter dem Namen Dalsing-Conway-Bohr-Broken Branch Consolidated Schools firmieren.
    Das erste Mal, dass die Schule abgeriegelt werden musste, war vor zwei Jahren, als zwei Insassen aus dem Staatsgefängnis in Anamosa geflüchtet waren und man sie in unserer Gegend vermutete. Da waren sie jedoch nicht. Beim zweiten Mal hatten zwei Schüler mit einer Bombe gedroht, die es nicht gab. Sie hatten nicht für ihre Abschlussprüfungen geübt und hielten dies für einen cleveren Weg, um die Tests nicht schreiben zu müssen. Das mussten sie dann auch nicht. Allerdings wurden sie dafür der Schule verwiesen.
    »Wir haben einen möglichen Eindringling in der Schule. Fahr einfach hin«, sagt Randall ungeduldig, was so gar nicht seine Art ist. »Der Chief erwartet dich dort und wird dich über alles Weitere informieren. Der Informationsaustausch ist derzeit das reinste Chaos. Die Notrufnummern werden mit Anrufen von Schülern, Lehrern und panischen Eltern blockiert.«
    »Okay, ich mach mich gleich auf den Weg.« Ich schalte den Scheibenwischer ein, um die Flocken wegzuwischen. Interessant, dass Chief McKinney bereits vor Ort ist. Ich sehe auf die Uhr. Kurz nach Mittag. Vielleicht nur ein Missverständnis, ein Streich von Kindern, die es nicht erwarten können, in die Frühlingsferien zu gehen. Maria wird enttäuscht sein, die ganze Aufregung verpasst zu haben.
    Ich wende meinen
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