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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont
Autoren: Richard Paul Evans
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während ich mich ins Wasser gleiten ließ.
    »Ich hab auch eine«, sagte er. Er erhob sich ein wenig aus dem Wasser, um mir seine Narbe zu zeigen. Sie verlief quer über das Brustbein und stammte ebenfalls von einem Messer. »Du hättest den anderen Burschen sehen sollen«, lachte er.
    Ich schloss die Augen, in der Hoffnung, er würde mich einfach entspannen lassen.
    »Wo bist’n du her?«
    »Seattle.«
    »Fischen oder Durchreise?«
    Ich sah ihn einen Moment an, dann erwiderte ich: »Ich bin wegen des Quilting-Kongresses hier.«
    »Oh«, sagte er. Er zog seine Hutkrempe herunter und ließ sich bis zum Kinn ins Wasser gleiten. Eine Minute später verließ er den Pool und das Spa.
    In jener Nacht schlief ich gut, auch wenn ich einen beunruhigenden Traum hatte. Ich ging ein langes Stück Highway hinunter und fühlte mich so verloren wie auf vielen Etappen meines bisherigen Wegs, als ich auf einmal eine Frau vor mir gehen sah. Es war McKale. Ich rief ihren Namen. Sie wandte sich kurz um, sagte aber nichts. Dann ging sie weiter. Ich ging schneller, bis ich rannte, aber sie beschleunigte ihre Schritte ebenfalls, um sie meinen anzupassen. Sie war immer knapp in Sichtweite und knapp außer Reichweite. Ich wachte auf; die Laken waren durchnässt von Schweiß.

Fünfzigstes Kapitel
    Der Wilde Westen war noch nie so trostlos.
    Alan Christoffersens Tagebuch
    Am nächsten Tag legte ich eine Ruhepause ein. Ich frühstückte ausgiebig im Hotelrestaurant, dann sah ich mir einen Film im Pay-per-View an – einen der Bourne -Filme. Mit Matt Damon kann man eigentlich nichts falsch machen.
    Als ich meinem Rucksack ausleerte, erfüllte ein schaler, ranziger Geruch das Zimmer. Ich entdeckte eine völlig schwarze, matschige Banane, ein verschimmeltes Sandwichbrötchen und ein paar angebissene Energieriegel.
    Ich wusch meinen Rucksack im Duschbad aus, dann stellte ich ihn zum Auslüften ans Fenster. Ich breitete meine Karte aus und erstellte dann auf Basis meiner weiteren Route eine Einkaufsliste auf einem Notizblock des Hotels. Ich war noch immer mehrere Wochen entfernt von Rapid City. Ich hatte Meilen noch zu gehen.
    Ich zog meine Route mit der Plastikspitze eines Hotelstifts nach. Ich würde auf dem I-90 bleiben, bis ich etwa 280 Meilen östlich von Cody zu einer Gabelung kam. Ich konnte entweder auf dem Interstate Highway 90 durch Spearfish und Sturgis, South Dakota, weiter nach Norden laufen oder die kleinere Straße in Richtung Süden nach Custer, South Dakota, nehmen. Die Entfernung war etwa dieselbe. Der Vorteil der Südroute war, dass die Straßen kleiner und weniger befahren waren. Der Nachteil war, dass es weniger Campingplätze, Motels und Restaurants entlang des Wegs gab. Ich entschied mich für die Südroute, legte meine Karte beiseite und ging einkaufen.
    Als ich Cody am nächsten Tag verließ, fühlte ich mich niedergedrückt, und das nicht nur, weil die vielen Vorräte so schwer auf meinen Schultern lasteten, sondern weil so manches auf meiner Seele lastete. Der zweispurige Highway schien sich, genau wie mein Leben, ins Nichts auszudehnen. Ich war umgeben von großen, brachliegenden Feldern und Viehweiden – in meinem früheren Leben hatte ich vom Flugzeug auf dieses Patchwork hinuntergesehen.
    Die nächsten beiden Wochen führten mich durch Südost-Wyoming, und ich fühlte mich so schlecht, dass es schien, als hätte ich in emotionaler Hinsicht einen gewaltigen Rückwärtsschritt getan. Ich könnte Ihnen meine verschiedenen Zwischenstopps in allen Einzelheiten schildern, aber das würde Sie nur langweilen – das weiß ich, da es mich gelangweilt hat. Ich hörte auf, Tagebuch zu führen. Ich hörte auf, mich zu rasieren. Ich hörte auf, mir um irgendetwas Gedanken zu machen.
    Auf meinem Weg lagen nur wenige Städte, die größte davon war Gillette. Die Stadt, die etwa 20 000 Einwohner hat, nennt sich selbst die »Energie-Hauptstadt der Nation« und verfügt über reichlich Bodenschätze: Kohle, Öl und Methangas. Gilette war schmutzig und grau, und ich war kaum angekommen, da konnte ich es schon nicht mehr erwarten, sie wieder zu verlassen. Die trostlose Atmosphäre mochte ich ebenso wenig wie den Zigarettengestank in jedem Restaurant, das ich betrat. Wyoming ist einer der letzten Staaten, die sich gegen den Nichtraucherschutz wehren, und zu rauchen gehört dort ebenso zur Kultur wie die nummernschildgroßen Gürtelschnallen. Einfach ausgedrückt, jeder öffentliche Ort in der Stadt stinkt nach zehntausend
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