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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals
Autoren: Jörg Juretzka
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frisch gehaltene Vertreter der Gattung, der wir alle so viel zu verdanken haben – viele, viele Jahre hinter Gittern zum Beispiel, wie sich nicht wenige unter euch mit Wärme im Herzen erinnern werden – der gemeine – oder sollte ich sagen hundsgemeine? – Polizeispitzel!«
    Gelächter, Gegröle und Applaus allenthalben.
    Ich war so gut wie tot. Es gab nichts mehr, außer Abschied zu nehmen.
    Ich war so gut wie tot, und es fand sich niemand im Raum, der meinem Ableben nicht mit einer nahezu lüsternen Gier entgegensah.
    Ich war so gut wie tot, umgeben von vollkommen enthemmter Bosheit.
    Ich kannte die Umstände, ich sah die Symptome, ich las es aus den Mienen, die um mich herum paradierten, und nicht nur der Kerle.
    Sie hatten die ganze Nacht gefeiert, auf Angels-Art, mit hartem Alkohol und reinem, rohem Amphetamin, ohne die ganzen Beimischungen, die aus Ravern regelmäßig solche Grinspfirsiche machen.
    Und nun brauchte die Party einen Höhepunkt, weil es sonst kein Ende gab.
    »Es haben mich einige Klagen erreicht, warum Moodies – erinnert sich noch jemand an Moodie, diese Ratte? – warum Moodies Ausschluss nicht von allen gemeinsam durchgeführt wurde. Nun, dafür gibt es Gründe, doch ich denke, nach der heutigen Exekution dieser Zecke hier wird sich niemand mehr beklagen.«
    Damit ließ er sich feierlich einen langen Holzpflock und einen enormen Hammer mit fassförmigem Kopf reichen, wie er zum, tja, zum Einschlagen von Zaunpfählen verwendet wird.
    Korrekte Wahl des Werkzeugs, musste ich anerkennen, mit einer befremdlichen Heiterkeit, gefroren in einem Zustand jenseits der Angst.
    »Und ich verspreche nicht zu viel, wenn ich sage: Jeder darf mal dran!«
    Deckart schüttelte Pflock und Hammer, und sofort brandete Jubel auf, durchsetzt mit haltlosem Gelächter.
    Ein Bund wie der der Hell’s Angels braucht regelmäßige Erneuerung. Und nichts bindet stärker als Blut, vorzugsweise gemeinsam vergossenes Blut.
    Ich war so gut wie tot und auf eine starre, klare Art fasziniert von dem Umstand.
    Jemand riss mir die Hose herunter, was meinem bevorstehenden Ableben noch eine grauenhafte Würdelosigkeit verlieh, doch ich schämte mich nicht, beobachtete nur die verzerrten, geifernden Mienen, die in mein Gesichtsfeld gerieten und dann wieder hinaus, als ob ich mir diese letzten Bilder einprägen wollte, für immer, oder für das bisschen Immer, das mich noch erwartete.
    Ich konnte nichts von dem sehen, was hinter mir vorging, doch an der Wand vor mir wurde der Schatten des Holzpflocks hochgehoben und dann spürte ich seine raue Spitze.
    Die instinktiv erhoffte Ohnmacht wollte sich nicht einstellen. Jetzt hieß es nur noch, auf ein schnelles Ende zu hoffen und die Zähne zusammenzubeißen …
    »Und nun, Brüder, zählen wir zusammen bis drei …«
    »EINS!«
    Der Schatten des Hammers hob sich, holte Schwung.
    Ich biss sie zusammen, meine Zähne, und bemerkte, wie meine Mundwinkel nach vorn glitten, fühlte, dass das Tuch nachgab, registrierte mit ungläubigem Staunen, wie meine Zunge freikam und ich wieder Herr meiner Artikulation wurde.
    »ZWEI!«
    Ich spuckte den zerkauten Fetzen aus und brüllte »DECKART!«, selber erstaunt über die Lautstärke, zu der meine Stimmbänder noch fähig waren.
    Vor mir sah ich Deckarts Schatten den Schatten des hochgehobenen Hammers verhalten.
    »Du hast Moodie umgebracht, weil er geschworen hatte, die Frau zu finden, die ihn damals geleimt hat, und sie zum Reden zu bringen!«
    So viel hatte Hufschmidt im Knast in Wuppertal in Erfahrung gebracht, der gute Junge.
    Eigentlich wäre in genau diesem Augenblick »DREI!« fällig gewesen, doch niemand zählte.
    »Du hast Moodie umgebracht, weil er dann herausbekommen hätte, dass du dahintergesteckt hast!«
    So viel hatte ich mir inzwischen zusammengereimt.
    »Du hast Moodie umgebracht, weil du es warst, der sich damals den ganzen Sprengstoff unter den Nagel gerissen und seither auf eigene Rechnung an alle möglichen Terror-Organisationen verkauft hat. Um mit dem Erlös dein Gastro-Imperium zu finanzieren.«
    Hundertfünfzig Kilo militärischer Sprengstoff, wie Hufschmidt mir unter dem Deckmantel äußerster Verschwiegenheit anvertraut hatte. Hochbrisant. Spuren davon sind unter anderem in London und Madrid gefunden worden.
    Die durch das Ausbleiben von »DREI!« entstandene Stille wich einem aufkommenden Brummen, wie dem einer herannahenden Bomberstaffel.
    »Du hast deinen Bruder Moodie umgebracht, weil er bewiesen hätte, dass du
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