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Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl

Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl

Titel: Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
Autoren: Paolo Bacigalupi
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gehen weiter.
    Die Frau reicht Anderson die Ngaw, und fast hätte er vor Freude gelacht. Eigentlich dürfte es keine einzige dieser pelzigen Früchte geben; ebenso gut könnte er einen Beutel Trilobiten mit sich herumtragen. Wenn seine Vermutung hinsichtlich der Abstammung der Ngaw zutrifft, stellt sie die Rückkehr einer ausgestorbenen Art dar, die ebenso unglaublich ist, wie wenn ein Tyrannosaurus die Thanon Sukhumvit hinunterschreiten würde. Andererseits trifft das auch auf die Kartoffeln, Tomaten und Chilis zu, die hier überall erhältlich sind, in solch prächtiger Fülle aufgehäuft – die ganze Vielfalt nahrhafter Nachtschattengewächse, wie sie seit Generationen niemand mehr gesehen hat. In dieser ertrinkenden Stadt scheint alles möglich. Obst und Gemüse kehren aus dem Grab zurück, ausgestorbene Blumen blühen entlang der Chausseen, und hinter den Kulissen wirkt das Umweltministerium Wunder – mit Hilfe von lange verloren geglaubtem genetischem Material.
    Den Beutel voller Früchte in der Hand, drängt sich Anderson durch die Soi zurück zur Hauptstraße. Hier brodelt der Verkehr — die morgendlichen Pendler verstopfen die Thanon Rhama IX, als hätte der Mekong Hochwasser. Fahrräder und Fahrradrikschas, blauschwarze Wasserbüffel und große, schwerfällige Megodonten.
    Als Anderson die Straße erreicht, taucht Lao Gu aus dem Schatten eines zerfallenden Bürohochhauses auf. Behutsam zwickt er die Glut seiner Zigarette ab. Nachtschattengewächse, schon wieder. Sie gedeihen hier überall. Nirgendwo sonst auf der ganzen Welt, aber hier gibt es sie im Übermaß. Lao Gu lässt den Rest seines Tabaks in einer ausgefransten
Hemdtasche verschwinden und eilt Anderson zu ihrer Fahrradrikscha voraus.
    Der alte Chinese ist nur eine in Lumpen gekleidete Vogelscheuche, und trotzdem kann er sich glücklich schätzen. Er lebt, während der Großteil seines Volkes tot ist. Er hat Arbeit, während die anderen malaiischen Flüchtlinge, wie Schlachthühner in die brechend vollen Expansionshochhäuser gepackt, vor Hitze fast umkommen. Lao Gu hat sehnige Muskeln auf den Knochen und genug Geld, um sich hin und wieder eine Singha-Zigarette zu gönnen. Gegenüber den anderen Yellow-Card-Flüchtlingen kann er sich so glücklich schätzen wie ein König.
    Lao Gu schwingt sich in den Sattel des Fahrrads und wartet geduldig, bis Anderson hinter ihm auf den Fahrgastsitz geklettert ist. »Ins Büro«, sagt Anderson. »Bai khap.« Dann wechselt er ins Chinesische. »Zou ba.«
    Der alte Mann richtet sich auf seinen Pedalen auf, und sie fädeln sich in den Verkehr ein. Um sie herum schellen die Fahrradklingeln wie Cibiskose-Glöckchen, wütend über das neue Hindernis. Lao Gu schenkt ihnen keine Beachtung und schlängelt sich durch den Verkehrsstrom.
    Anderson greift nach einer weiteren Ngaw, beherrscht sich dann aber. Er sollte sie sich aufsparen. Sie sind zu wertvoll – er darf sie nicht wie ein gieriges Kind hinunterschlingen. Die Thai haben einen Weg gefunden, die Vergangenheit zu exhumieren, und er hat nichts anderes im Sinn, als sich an den Beweisen gütlich zu tun! Er trommelt mit den Fingern auf den Beutel und ringt um Selbstdisziplin.
    Um sich abzulenken, kramt er seine Schachtel Zigaretten hervor und zündet sich eine an. Er inhaliert den Tabaksqualm, genießt den Geschmack und erinnert sich an seine Überraschung darüber, wie erfolgreich das Königreich Thailand geworden war und wie weit sich die Nachtschattengewächse
verbreitet hatten. Während er raucht, denkt er an Yates. Wie enttäuscht der Mann doch war, als sie einander gegenübersaßen und die wiederbelebte Vergangenheit zwischen ihnen schwelte.
    »Nachtschattengewächse.«
    Yates’ Streichholz flammte auf und entriss seine Gesichtszüge dem trüben Licht im Büro von SpringLife. Er hielt es an die Zigarette und zog an ihr. Reispapier knisterte. Die Glut leuchtete, und Yates atmete aus; Rauch ringelte sich in Richtung Decke, wo Kurbelventilatoren sich mühten, die Saunahitze zu lindern.
    »Auberginen. Tomaten. Chilis. Kartoffeln. Jasmin. Tabak.« Er hielt seine Zigarette in die Höhe und runzelte die Stirn. »Tabak!«
    Er zog erneut daran und kniff die Augen zusammen. Die im Schatten liegenden Schreibtische und Tretkurbelcomputer lagen schweigend da. Abends, wenn die Fabrik geschlossen hatte, war es fast möglich, die leeren Schreibtische für etwas anderes zu halten als eine Topografie des Scheiterns. Vielleicht waren die Arbeiter ja nur nach Hause gegangen und
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