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Biohacking - Gentechnik aus der Garage

Biohacking - Gentechnik aus der Garage

Titel: Biohacking - Gentechnik aus der Garage
Autoren: Hanno Charisius Richard Friebe Sascha Karberg
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geworden.
    Mit ausreichend flüssigem Stickstoff kann man auch einen Eisbären zum Erfrieren bringen. Weil er bei Raumtemperatur rapide den Aggregatzustand wechselt und sich massiv ausdehnt, ist die Explosionsgefahr extrem, speziell, wenn Nicolas sich das Zeug im Stickstoffladen an der Ecke in eine Plastikflasche abfüllen lassen, diese dann verschließen und in den Schulranzen stecken würde. Und wenn sich aus flüssigem Stickstoff Stickstoffgas bildet, verdrängt dieses erst mal die Luft rundherum, es droht Erstickungsgefahr. Flüssiger Stickstoff hat schon ein paar Menschen das Leben gekostet. 72
    Es gibt also gute Gründe, warum es im Laden an der Ecke keinen flüssigen Stickstoff gibt und warum kleine Leute wie Nicolas ihn auch sonst nicht zu kaufen bekommen wie eine Packung Haribo.
    Die Frage, ob Sarah sich Sorgen machen muss, ist damit aber noch nicht beantwortet. Die Gefahr, dass Nicolas sich flüssigen Stickstoff irgendwo besorgen kann, ist gering – wenn auch nicht gleich null. Der Verdacht, dass er mit dem Zeug Bomben bauen und seine Lehrerin in die Luft jagen will, ist bei dem kleinen, lieben Kerl ziemlich unbegründet. Die Wahrscheinlichkeit, dass er längst weiß oder bei Sarahs Erklärung sehr schnell verstehen wird, wie gefährlich die minus 200 Grad kalten Moleküle sind, ist dagegen ziemlich hoch. Schon allein die Tatsache, dass ein Siebenjähriger sich für flüssigen Stickstoff und seine Anwendungen interessiert, sollte eigentlich jede Mutter stolz machen, und das war sicher auch der Grund, warum Sarah die Anekdote überhaupt gepostet hat. Und die Aussicht, dass Nicolas bald unter Aufsicht und irgendwann vielleicht als Wissenschaftler selbstständig und sicher mit flüssigem Stickstoff hantieren und dabei vielleicht auch eines Tages tatsächlich etwas Sinnvolles erforschen wird, besteht durchaus.
    Regierungen, Parlamente, für öffentliche Sicherheit zuständige Behörden – sie alle sind heute in einer Nicolas-Situation. Es geht nur nicht um Erstklässler und flüssigen Stickstoff, sondern um Erwachsene und Gentechnik, Genanalyse, synthetische Biologie. Wenn mehr und mehr Leute aus der nicht speziell ausgebildeten und in speziellen Labors sitzenden Öffentlichkeit plötzlich Krankheitsgene analysieren, Bakteriengene umherschieben, nach Banane schmeckende Erdbeeren basteln wollen, muss man sich dann als Gesellschaft, als Gesetzgeber Sorgen machen? Muss man versuchen, den Zugang zu den nötigen Werkzeugen und Zutaten so zu erschweren wie Kindern den Kauf von flüssigem Stickstoff? Ist jeder, der Gentechnik und Ähnliches als Hobby verfolgen will, sofort terrorverdächtig? Oder kann man auf Vernunft und Einsichtsfähigkeit bauen? Kann man sich freuen, dass in der Bevölkerung das Interesse an einer das 21. Jahrhundert bestimmenden Technologie wächst, und auch die Bildung und Kompetenz in der ihr zugrunde liegenden Wissenschaft? Kann man gar hoffen, dass für die Gesellschaft etwas qualitativ oder auch messbar Positives aus einer neuen Bürger-Biologie herausspringen kann?
    Wenn man Freunden oder Bekannten erzählt, dass man gerade an einem Buch über Leute arbeitet, die in der Küche oder Garage Biotech, Genanalyse und Gentechnik betreiben, sagen manche spontan Dinge wie „Cool, das will ich auch machen“. Bei den meisten ist die erste Reaktion aber eher ein „Klingt gefährlich“. Die einen denken an Frankenstein’sche Monster, die anderen an selbstgebastelte H5N1-Viren oder andere Killer-Keime. Möglich, dass Deutsche bei allem, was nur ansatzweise wie biomedizinische Manipulation klingt, besonders vorsichtig reagieren, aber auch Freunde und Kollegen aus anderen Ländern melden spontan meist dieselben Bedenken an. Es wäre also zu kurz gegriffen, würde man die kritischen, vorsichtigen, restriktiven Gedanken gegenüber DIY-Biologie und Biohacking nur einem regulationswütigen Staat oder den ihre Pfründe in Gefahr sehenden Profiforschern an Unis und in Biotech-Unternehmen zuschreiben.
    Der Physiker Freeman Dyson wird gerne als Prophet oder gar „Schutzheiliger“ (etwa von Marcus Wohlsen in seinem Buch „Biopunk“ 73 ) der Biohacker bezeichnet, weil er in einem kleinen Essay, der eigentlich die Besprechung eines Buches über Amateur-Astronomie war, ein dämmerndes Zeitalter fantastischer selbstgemachter Biotech-Kreationen heraufbeschwor. Dyson prognostizierte dort unter anderem wohlhabende Vorstadt-Bürger, die ihren Gärten mit selbst gemachter Gentech-Botanik einen individuellen
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