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Binde Deinen Karren an Einen Stern

Binde Deinen Karren an Einen Stern

Titel: Binde Deinen Karren an Einen Stern
Autoren: Elisabeth Lukas
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Dabei gewährt das Alter in Wahrheit noch genügend Gelegenheit zu einer geistigen Expansion! Kazimierz Popielski, emeritierter Professor an der Universität Lublin/Polen, skizzierte in den 90er-Jahren aufgrund einschlägiger Studien sogar ein Entwicklungsschema, wonach das Alter potenziell die höchsten Wachstumsschübe geistiger Art ermöglicht. Wobei er das Wort „geistig“ dem Franklschen Vokabular entnahm, in welchem es mit „spezifisch human“ zu übersetzen ist und nicht etwa mit „intelligent“ oder „klug“, also mit Begriffen, die eher der psychischen Ebene zuzuordnen sind.
    Das Schema zeigt nun Folgendes an:
    Ein Neugeborenes ist körperlich schon sehr gut entwickelt, verfügt auch über zahlreiche einfache psychische Funktionen, aber seine „Geistigkeit“ schläft noch. Insofern gleicht es einem jungen Tier, obwohl der spezifisch humane Funke längst in ihm glimmt. In den ersten 30 Lebensjahren weitet sich jede Lebensdimension aus: die körperliche Entwicklung vervollständigt sich, die psychischen Phänomene werden durch Erziehung und Erfahrung geschult, und die geistige Reifung schreitet voran. Mit ihr wacht eine einzigartige und einmalige Persönlichkeit aus dem Kinderschlaf auf und beginnt die Welt auf ihre unvergleichliche Weise eigenverantwortlich mit zu verändern.
    In den nächsten 30 Jahren zeigt sich im Regelfall eine hohe Energie-Konstanz auf allen drei Ebenen, wenn auch bereits der körperliche Abbau spürbar wird. Danach setzt der psychische Abbau ein und eilt dem Nachlassen körperlicher Kräfte flott hinterher.
    Die geistigen Kräfte jedoch entfalten sich weiter (wenn sie nicht mutwillig oder krankheitsbedingt eingeengt werden) und sind noch in den Jahren über 60 aufnahme- und wachstumsfähig. Je weniger Spielraum im körperlichen und psychischen Bereich verbleibt, umso mehr Bedeutung kommt dem geistigen Leben zu, das bis ins hohe Alter regsam und aktiv sein kann.
    Gerade darin besteht die Gabenpalette des Alters: im geistigen Akzent einer abgeklärten Lebensphilosophie und in einer fundierten Sinnorientierung, die die Stürme des jugendlichen Ringens und die Irrtümer der konkreten Sinngestaltungsversuche schon überarbeitet, verfeinert und stilisiert hat, ferner im sicheren Ruhen in der Geborgenheit einer Wertstruktur, die persönlich aufgebaut und angenommen worden ist, sowie in der Rückschau auf die Ernte eines mühsamen Werkens im Auf und Ab des Lebens, das oft als vergeblich erschienen und doch gegen Ende in reichhaltige Speicher eingemündet ist.
    Begegnet man hochbetagten Personen in der psychotherapeutischen Praxis, so stellt es ein lohnendes Beratungskonzept dar, ihren Blick vom körperlichen Verfall und vom Nachlassen psychischer Funktionen (wie Gedächtnis, Auffassungsgabe, Konzentration) abzulenken und zur Ebene geistiger Erfüllung hinzulenken, innerhalb welcher immer noch ein kleines Schrittchen zu vollziehen ist. Sie können zugewinnen an Zufriedenheit, Güte, Verständnis, Nachsicht etc., sie können sich in einer Liebe einüben, die nichts mehr retour haben will, sie können ihre Spiritualität vertiefen und zu hervorragenden Lehrmeistern für die nachfolgenden Generationen werden. Damit würden sie hundertfach ausgleichen, was sie in ihrer zunehmenden Angewiesenheit auf Hilfe vielleicht an Belastung für die Jüngeren bedeuten. Kurzum, das Alter spendet den Raum, in dem sich entfalten darf, was unsere bedingungslose Achtung vor den alten Menschen rechtfertigt. Wohl dem, der sich jener letzten großen Chance bewusst ist – er ist der wirklich Weise-Gewordene, der sich eines Tages auf der Bühne vor aufbrandendem Schlussapplaus verneigen wird, ehe der Vorhang fällt.
    Wenn körperliche Kräfte und
    psychische Funktionen eingeschränkt sind
,
    sollte man umso mehr
    die Ebene der geistigen Erfüllung
    in den Blick nehmen.

Wenn Pläne zerbrechen oder:
Vom wandelbaren Sinn
    Dank zahlreicher psychologischer Studien wissen wir, wie wichtig es für Jung und Alt ist, ein adäquates Ziel vor Augen zu haben und sich für dessen Erreichung zu engagieren. Es kann jedoch der Fall eintreten, dass beides vorhanden ist, sowohl eine Zielvorstellung, als auch die intensive Bereitschaft, auf dieses Ziel hinzuarbeiten, und dass dennoch äußere Umstände das Vorhaben zunichte machen. Es ist dann ein Weg gewählt worden, der sich plötzlich als ungangbar erweist. In diesem Fall haben wir es nicht mit einem „Sinnvakuum“ zu tun, denn der Betreffende weiß genau, was ihm als
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