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Binde Deinen Karren an Einen Stern

Binde Deinen Karren an Einen Stern

Titel: Binde Deinen Karren an Einen Stern
Autoren: Elisabeth Lukas
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im Auto waren!“ Der Autofahrer Nr. 2 könnte seufzen: „Herr, wenn du mich brauchst, will ich gerne dein Werkzeug sein!“
    Freudvolle Situationen sind etwas Herrliches, und sie sind nicht so selten, wie wir meinen. Der ganz normale Alltag, in dem wir auf den Straßen unseres Lebens fröhlich unseres Weges dahinfahren, von keiner Katastrophe gebremst, von keinem Gebrechen geplagt, von keinen Schmerzen gelähmt, von keiner Pleite gestoppt – ist schon der Freude wert. Vergessen wir nicht, sie wertzuschätzen
und sie zu teilen.
Es ist einfach so, dass der Nicht-Hilfsbedürftige in besonderem Maße zum Helfersein gerufen ist. Der Reiche kann dem Armen etwas spenden. Der Gebildete kann den Ungebildeten informieren. Der Gesunde kann den Kranken pflegen. Der Starke kann den Schwachen mittragen. Der Tüchtige kann den Versager stützen. Wer sein Glück und seine Privilegien nicht austeilt an andere, dem wird sich das Bewusstsein, in seinem Leben einen Sinn zu erfüllen, verwehren. Und im Sinnvakuum erlischt die Freude.

Das fehlende Ziel
    Viele Ratsuchende kommen in eine psychotherapeutische Praxis, weil sie mit einem Leid nicht fertig werden. Aber auch die andere Version: das „Nichtfertig-Werden mit Glück“ ist uns Therapeuten vertraut. Hier ein illustratives Beispiel:
    Eine 30-jährige Frau hatte sich vom Arzt gründlich untersuchen lassen. Als er ihr eröffnete, dass sie vollkommen gesund sei, brach sie in Tränen aus und sagte, in diesem Falle könne ihr niemand helfen, denn sie fühle sich trotz ihrer Gesundheit elend und traurig. Der Arzt erschrak und riet ihr dringend, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
    Als die Frau zu mir kam, war sie in ihrer negativen Lebenseinstellung verfestigt und konnte keine Angaben über ihren Kummer machen. „Es geht mir gut“, sagte sie abweisend zu mir, „aber das Leben freut mich nicht.“ „Ist es Ihnen immer gut gegangen?“, fragte ich sie. Sie überlegte und erzählte schließlich, dass sie als Kind, von der Scheidung ihrer Eltern gebeutelt, das Gymnasium habe abbrechen müssen und dann eine Handelsschule besucht habe. Sie war jedoch ehrgeizig gewesen und hatte später, als sie bereits im Staatsdienst angestellt war, das Abitur in Abendkursen nachgeholt. Das sei recht hart gewesen. Später habe sie die Beamtenlaufbahn angestrebt und sich in ihren Studien und in ihrer Arbeit intensiv eingesetzt, um dieses Ziel zu erreichen. Vor einem halben Jahr sei sie nun, als eine der Jüngsten, verbeamtet worden und habe damit die höchste für sie mögliche berufliche Stufe erklommen.
    „Hat Ihr Verlust an Lebensfreude vielleicht danach begonnen?“, fragte ich sie. Wieder dachte sie sorgfältig nach. „Das könnte sein“, gab sie zu. „Dann glaube ich zu ahnen, was Ihnen fehlt“, wagte ich mich vor. „Ihnen fehlt ein Ziel. Sie sind ehrgeizig, wissensdurstig und immer bestrebt gewesen, etwas zu erreichen. Aber jetzt stehen sie an Ihrem einstigen Ziel, und fürs ‚einfach Dastehen‘ haben Sie zu viel Energie, die gefordert und eingesetzt werden will. Gutgehen allein reicht nicht zum Glücklichsein, und Stehenbleiben entspricht nicht der menschlichen Natur.“
    Während ich gesprochen hatte, war mit der Frau eine Veränderung vor sich gegangen. Sie wirkte lebhafter und interessierter als zu Anfang unseres Gesprächs. „Was mir fehlt, ist ein Ziel …“, wiederholte sie meine Worte. „Jetzt, da Sie es sagen, merke ich es auch! Und ich habe geglaubt, Sie werden meine Kindheit analysieren und mir aus der Scheidung meiner Eltern einen psychologischen Strick drehen …“ Wir lachten beide.
    Es galt also, ein neues, attraktives Ziel zu finden. Aber gerade das Wissen, als Beamtin unkündbar zu sein, wie gut oder schlecht sie ihre Arbeit verrichtete, bremste ihre tägliche Motivation. Da dachte ich an den besonderen ethischen Sinnanruf positiver Lebenssituationen und vermittelte ihn ihr im Gewand eines Gleichnisses.
    „Sie stehen am Gipfel eines Berges und blicken ins Tal“, begann ich, „aber der Blick ins Tal deprimiert Sie, denn Sie waren immer gewohnt, nach oben zu schauen. Andere Menschen hingegen tasten sich am Fuße des Berges entlang und finden den Aufstieg nicht. Wären Sie bereit, nochmals zu denen hinunterzusteigen und ihnen den Weg zu weisen? Das Bewusstsein, für andere Menschen eine wichtige Hilfe zu sein, würde Sie selbst mit Freude erfüllen, und Ihr Blick wäre auch wieder – nach oben gerichtet.“
    Die Frau verstand mich sofort. „Sie wollen
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