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Binde Deinen Karren an Einen Stern

Binde Deinen Karren an Einen Stern

Titel: Binde Deinen Karren an Einen Stern
Autoren: Elisabeth Lukas
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mir nahelegen, dass ich mich die ganze Zeit nur um meine Karriere gekümmert habe. Richtig, und jetzt hocke ich abgehetzt und ausgebrannt am Gipfel und bin innerlich wie leer. Was meinen Sie? Anderen den Weg weisen? Das klingt reizvoll.“ Sie stand auf. „Ich komme wieder“, versprach sie. „Und Sie werden mit mir zufrieden sein.“
    Sie kam wieder, mit frischer Miene und voller Pläne. In dem Ministerium, in dem sie arbeitete, hatte sie eine kostenlose Einführung in ihr Sachgebiet für Anfänger sowie einen Vorbereitungskurs für deren Staatsprüfungen ausgeschrieben und eine derart starke Resonanz erfahren, dass sie kaum wusste, wie sie zeitlich zurande kommen sollte. „Ein Glück, dass ich verbeamtet bin“, schmunzelte sie, „sonst müsste ich geradezu Sorge tragen, vor lauter Nebenbeschäftigungen den Dienst zu vernachlässigen und gekündigt zu werden.“ „Na, die Sache mit der Dienstvernachlässigung war nicht mein therapeutischer Rat“, protestierte ich, aber sie hatte bloß gescherzt. Ernst wurde sie zum Abschied: „Ich habe gelernt, dass andere Menschen ins Ziel miteinbezogen werden müssen, wenn die Freude am eigenen Schaffen erhalten bleiben soll. Dafür danke ich Ihnen.“
    Eine kluge Frau, die ich beruhigt aus der Sprechstunde entlassen konnte. Kein „Gipfelerlebnis“ würde ihr in Zukunft die seelische Balance mehr zu rauben vermögen.
    Erfolg um seiner selbst willen ist kein Erfolg, und Glück um seiner selbst willen ist kein Glück.
    Erfolg und Glück
    müssen mit anderen geteilt werden
,
    wenn sie zur psychischen Gesundheit
    des Menschen beitragen sollen.
    Wo immer sich in einer Gesellschaft ein „existenzielles Vakuum“ ausbreitet, wie Frankl jenes prekäre Überdruss- und Sinnlosigkeitsgefühl genannt hat, das nicht selten am Zahn des Wohlstandes nagt und zu Exzessen aller Art verleitet, dort sind Lieblosigkeit und Egozentrierung in großem Ausmaß zu beobachten. Die Umkehrung gilt ebenfalls: Wo die Nächstenliebe wieder einkehrt, kehrt die Lebenslust zurück.

Leidvolle Lebenssituationen
und die Kraft eines „zuliebe“
    In welch entscheidenden Momenten versucht werden kann, die Liebe zu Mitmenschen gegen die scheinbare Sinnlosigkeit des eigenen Daseins in die Waagschale zu werfen, zeigt die folgende Krankengeschichte, mit der wir zu den leidvollen Lebenssituationen hinüberwechseln.
    Eine Frau mittleren Alters hatte schon mehrere Selbstmordversuche hinter sich, die im Zusammenhang mit einem zyklisch wiederkehrenden Krankheitsprozess standen. Und zwar hatte sie von Zeit zu Zeit (endogen bedingte) Depressionsphasen, die ihre Stimmung derart niederdrückten, dass sie trotz guter medikamentöser Versorgung alsbald keine Chance mehr für sich sah und deswegen versuchte, mit Hilfe einer Überdosis Schlafmittel für immer einzuschlafen.
    Da ihr Mann sehr besorgt um sie war und sie kaum aus den Augen ließ, war sie stets rechtzeitig gerettet und zeitweise auch in Kliniken eingeliefert worden. Sobald dann ihre depressive Phase wieder abklang, schöpfte sie jedes Mal neuen Mut und wandte sich mit Elan ihren täglichen Verrichtungen zu. Allerdings blieb zunehmend ein Rest an Resignation in ihrem Gemüt „hängen“, denn es verdichtete sich in ihr das Gefühl, dass ihr weiteres Leben sinnlos sei, weil sie den genannten Krankheitsprozess in keiner Weise aufhalten konnte.
    Auf Umwegen gelangte sie zu mir, und zwar während einer „gesunden Phase“. Leider konnten wir ihrem Schicksal wenig Änderung abtrotzen: Es war durchaus zu befürchten, dass sich die dunkle Depressionswolke in Abständen wieder auf sie niedersenken würde. Doch um eines wollte ich kämpfen, nämlich um eine Reduzierung ihrer Suizidgefährdung. Hier ein Ausschnitt aus unseren Gesprächen:
    Frau X: „Warum lässt man mich nicht sterben? Das ist doch kein Leben, immer wieder in bodenlose tiefe Traurigkeit zu fallen und keinen Ausweg mehr zu sehen …“
    Ich: „Frau X, angenommen, es fiele Ihnen plötzlich ein, dass Sie lieber in Hamburg wohnen würden als in München. Das bunte Treiben in der Hafenstadt fasziniere Sie. Würden Sie dann Ihre Koffer packen und sogleich nach Hamburg ziehen, um dort zu leben?“
    Frau X (erstaunt): „Aber nein, mein Sohn geht doch hier zur Schule, mein Mann arbeitet hier – ich bin ja nicht allein auf der Welt!“
    Ich: „Sehr richtig, Frau X. Das ist ein wunderschöner Schlüsselsatz, den Sie da ausgesprochen haben. Den sollten Sie nie vergessen, was auch geschehen mag. Sie sind nicht
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