Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin oder die Reise mach Peking

Bin oder die Reise mach Peking

Titel: Bin oder die Reise mach Peking
Autoren: Max Frisch
Vom Netzwerk:
jenem Abend, was niemand überraschen wird, hatte Maja ihn verlassen. Es überraschte auch ihn nicht. Sie geht, so dürfen wir annehmen, mit einem anderen weiter, und wir werden natürlich den Verdacht nicht los, daß es der Jüngling ist, der die Zigaretten verkauf hat. Gleichviel! Seine Rolle hatte sie an den Rand des Weges gestellt, damit er sie nicht vergesse, all die ernsten und gescheiten Dinge.
    »Freund«, schrieb sie darauf, »es tut mir leid.« Bin betrachtete den Zettel lange, drehte ihn wie ein Schrifdeuter, las ihn noch einmal, dann sagte er:
    »Sie hat dich geliebt, – weißt du das?«
Kilian wußte es durchaus.
(Das war das andere.)

    O Wein, man trinkt dich wie Sonne und prikkelnden Schaum, Funken von Laune, nichts weiter, und nachher, unversehens, sind wir trunken, heiter vom Tiefsinn deiner lächelnden Schwermut; wir wanken, wir singen durch Gassen, laut, daß es hallt, oder wir zanken. Immerzu, leise wie eine Glocke aus Glas, weint es in uns. Lange noch, lange noch! Man trinkt dich, o Wein, nichts leichter als das … Mit anderen Worten:
    Ein wenig soff er wohl auch.

    O der es begab sich das Folgende:
    Kilian saß im Konzert. Obschon er von der Musik nicht viel begriff, wie ihn dünkte, tat er es of. Immer wieder geschieht es, daß er denkt. Er denkt an Menschen, deren Weg man gekreuzt hat, kürzer oder länger, an Landschafen, an Bilder aus verschütteten Träumen; aber er hört nicht. Er sitzt wie die Hörenden ringsum; aber er sieht … Wasserfälle, zum Beispiel, ganz märchenhafe Wasserfälle, wie sie langsam über die endlosen Felsen schleiern, Muster eines Stoffes, Zweige in einem runden Glas, das Glänzen von nassen Geleisen, die sich verschleifen, dann wieder sind es Drähte mit wandernden Tropfen daran, Wiesen im Wind, ein immerzu und unaufaltsam wachsendes Schneckenhaus. Vorbei! Es folgen ganz alltägliche Sachen, vergessene Rechnungen, woran er denken muß, während eine Flut von Bläsern auf ihn zukommt – plötzlich branden sie an ein Schweigen, eine Stille, die sich wie eine Wand emporbaut, höher und höher wird dieses Schweigen, man konnte immer länger daran emporschauen und schwindlig werden: dann, ganz oben erst, begann eine Geige, dünn und wie ein silberner Griffel auf einer marmornen Tafel, der ein Gebet schrieb, langsam und gelassen, kindlich, fast spielerisch, einsame Zeichen einer unfaßlichen Wonne … Schon eine Weile hatte Kilian gespürt, daß ihm jemand auf die linke Schulter klopfe, links, wo man das Herz hat. Er wollte sich aber nicht stören lassen. Es mußte ein Knöchel sein, der, beharrlich wie nur ein Knöchel, ihn wecken wollte. Er stand in Mantel und Hut, der Fremde, mitten im Konzert. Aber die Leute, welche die Musik begriffen, lauschten alle und waren voll Genuß oder Andacht, achteten ihn nicht, und obschon er einen gewöhnlichen Regenmantel trug, wie er gerade der Mode entsprach, dazu ein Halstuch und einen alltäglichen Hut, der sein knöchernes Antlitz beschattete, wußte Kilian sofort, daß das nun der Tod war, der viel besprochene, der of schon bedachte. Man kann nicht sagen, daß Kilian ihn erwartet hätte. Jetzt noch nicht. Kilian war nicht mehr jung, gewiß, das wußte er nach und nach; das war noch kein Grund, fand er, um schon zu sterben. Aus Scheu, die andern Leute aufzustören, machte er keine großen Umstände, so entsetzt er natürlich war, sondern nickte.
    »Ich?« fragte er kurz.
    »Oder ein andrer!« sagte der Fremde, und er fügte hinzu: »Wenn du einen andern findest.« Er grinste unverständlich … Kilian nickte, fürs erste erleichtert, daß er allenfalls einen andern schicken könnte, einen, dem es weniger ausmachte. Dachte er doch, daß es noch nicht ihm selber gelten würde! Erschrocken war er immerhin; Kilian hatte das Gefühl, ein zweites Mal dürfe er keinen andern mehr schicken … Das Konzert ging weiter.
    Der Mann auf dem Podium, der mit den Knien wippte und mit einem Stäblein durch die Lüfe zitterte, so daß die Schwänze seines Frackes wedelten, und der natürlich als erster ins Auge fiel, kam nicht in Frage. Von wegen des Aufsehens. Eine Weile sah Kilian sich die Musikanten an, einen zum Beispiel, der die Baßgeige strich; es war rührend, wie ernst und aufmerksam er auf die Noten blickte, auch wo er lange Zeiten gar nicht spielen mußte. Der war nicht unersetzlich, gewiß nicht. Und eigentlich war Kilian schon entschlossen; sie spielten im dritten Satz, in einem Scherzo, als der Mann, der die Baßgeige hielt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher