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Bin oder die Reise mach Peking

Bin oder die Reise mach Peking

Titel: Bin oder die Reise mach Peking
Autoren: Max Frisch
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sich her, macht sich müde und alt, das Ergebnis besteht darin, daß man dagewesen ist, und dennoch setzen wir alles daran, daß wir möglichst lange nicht sterben. Wir erfinden Mittel um Mittel, denn bei alledem sind wir klug, fleißig, wir arbeiten wie die Ameisen –« Hierzulande, sah ich, lächelte sogar der Diener über ein solches Dasein; er räumte ab, stopfe uns die Pfeife. Oder wir ritten –
    Of, wenn wir so morgendlich ritten, hielt ich Umschau mit heimlichen Blicken, denn ich spähte nach Bin, und ich tat es halb mit dem Wunsch, ihm sagen zu können, wie es mir mit meiner leidigen Rolle, die ich hatte einstellen wollen, ergangen war. Und daß ich nun, sowie es die chinesische Höflichkeit zuließe, bald wiederkäme. Halb war es mir lieber, wenn Bin mir nicht begegnete. Im Gedanken an Bin, der sich durch Gestrüppe futterte, schämte ich mich plötzlich der seidenen Gewänder, und jedesmal, wenn einer uns grüßte – sie beugten sich so tief, daß man ihr Gesicht nicht mehr sah, beugten sich vor den reitenden Herren, vor unseren seidenen Gewändern – jedesmal hatte ich den traurigen Schrecken, das könnte Bin gewesen sein! Eines herbstlichen Morgens, als wir wie immer auf einer milden Anhöhe hielten, die noch zum Gut meines vermöglichen Gönners gehörte, lag wieder der Nebel vor uns, der die Weite verhängte, wie immer, ein Dunst wie über den heimatlichen Seen, ein Puder von kupfernem Herbst. Ich hofe stets, daß es endlich einmal aufreißen möchte, und das Meer, das wirkliche, läge vor uns, das grenzenlose, das die schwebende Kugel unserer Erde umspült … Im stillen hofe ich es stets, soof wir auf dieser freundlichen Anhöhe weilten, die lassen Zügel in den Händen hielten und schwiegen, oder wir tätschelten das brave Pferd. Vor uns stieg sein edler Hals, der Scheitel seiner Mähne, und man saß wie auf einem schnaufenden Berg. Manchmal girrte der Sattel, das Lederzeug. Aber wir schwiegen. Denn ich mochte nicht unhöflich sein und ihm, meinem Gastgeber, von meiner Sehnsucht reden, das Meer betreffend, das wirkliche, das schrankenlose, das in den Buchten brandet, das um die letzten Inseln gischtet, das draußen in den Himmel mündet. Auf einmal sagte der Herr:
    »Der Fürst wird dieser Tage kommen. Ich hatte ihn auf unsrer Jagd getroffen –«
    Der Fürst? Da wir am Vorabend von Peking wohnten, konnte es nur der Fürst von Peking sein, sagte ich mir. Eigentlich war ich in dieses Haus getreten, um meine Rolle einzustellen. Wir ritten zurück.
    »Keine Sorge!« lächelte ich nicht unverbindlich, als ich die Bedenken meines freundlichen Gönners erriet, »wohl bin ich ein Demokrat – wir sind es allzumal in der schmerzlichen Einsicht, daß es bei uns drüben keine wirklichen Fürsten gibt! So muß das Volk zum Guten sehen. Ob es das Beste ist, wer weiß es! Bei euch ist alles anders: ein wirklicher Fürst, ein wirkliches Volk … Wir drüben, wir haben nur das Volk und seine Reichen; das macht das Volk gemein.« »Wieso?«
    Nichts mehr davon … Am Vorabend von Peking laßt uns an anderes denken. Wir dürfen es! In Peking, denke ich, können all solche Dinge nicht vorkommen, die jeder von uns kennt, so, daß sie ihm in der Galle liegen. Hier ist alles anders. Wolkenlos, wie ein Abend in südlicher Fremde, leuchtet unsere Freude über den Gärten, die schön sind, denn sie gehören den Rechten; unsere Gewissen sind ferne und still wie die Sterne, unsere Herzen aber plätschern und plaudern wie das Spiel einer zierlichen Wasserkunst. Wir kommen an Teichen vorbei, Arm in Arm, wir schauen die rötlichen Fische, die schlafen, Wipfel im Spiegel der wässernen Tiefe. Das alles ist schön. Abend in windlosen Lachen … Ich nenne sie Maja, die junge Chinesin, die in meinen Träumen so weit geht, zu küssen. Allein im Garten, als unversehens die Dämmerung sank, kamen wir einmal zu einem schmalen Steglein von geflochtenem Bambus; ich bot ihr die Hand, führte ihre siebzehn Jahre herüber, und sie war zierlich wie auf einem Holzdruck von Hiroshige. Überhaupt gefiel uns der Augenblick sehr, so, daß unsere Hände sich lange noch hielten. Ich glaube, ich liebe sie auch im Wachen, und es wäre ebenso verlockend wie dumm, ihre jugendlichen Reize zu schildern. Wir standen nun vor dem mondenen Weizen, sie spaltete das Korn zwischen dem Elfenbein ihrer Zähne. Ihr schwarzes Haar um den Nacken, und der Mondschein dazu – ein Glanz von Mondschein lag wie eine schmale, kühle Spange darauf – da zweifelte ich
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