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Bin oder die Reise mach Peking

Bin oder die Reise mach Peking

Titel: Bin oder die Reise mach Peking
Autoren: Max Frisch
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Durchlaucht.«
»Da war ich auch einmal –«
Nun kam das Fleisch.
    »Kennen Sie«, fragte der Fürst, »einen gewissen Hühnerwadel?«
    Man sah von draußen, wie ich stutzte.
»Wir haben, Durchlaucht, der Hühnerwadel
viele.«
Der Fürst nahm Fleisch.
    »Isidor hieß er –«
    Platte folgte auf Platte, man mußte ordentlich aufpassen, und mehr als einmal sahen wir von draußen, wie ich mit dem Reis schon hatte beginnen wollen; jedesmal konnte ich die Stäbchen gerade noch zurücklegen, wenn die nächste Platte nahte … Isidor Hühnerwadel, so einen gab es allerdings in Weggiswil, leider Gottes, ein Schürzenjäger, dem nichts zu schmutzig war, jedenfalls prahlte er in allen Wirtschafen mit seinen Abenteuern, und offenbar war es mir drinnen ein wenig peinlich, daß sich der Fürst, dessen Palast ich vielleicht würde bauen dürfen, gerade an diesen Hühnerwadel erinnern mußte, der ein Saukerl war, ja, ich sah mir eine ganze Weile zu, wie ich Unkenntnis heuchelte, auch immer wieder auf höfliche Weise versuchte, von chinesischen Belangen zu reden.
    »Herrgott!« sagte der Fürst, »Sie müssen ihn kennen, so ein fideler Kerl! Haben Sie niemals von der Geschichte gehört …«
    Da es sich indessen nicht schickte, daß der Fürst nur immer mit seinem Nachbarn redete, geschah es, daß er die Geschichte von dem fidelen Hühnerwadel, wie er ihn zu nennen geruhte, dem ganzen Bankett erzählte, oder wie man etwa sagen würde, zum besten gab.
    »Eines späten Abends«, sagte der Fürst, »als
    alles schon schlief und auch die Magd in ihre Kammer ging, ein blutjunges Ding, keusch wie ein Märchen – sie riegelte ihre Tür zu, als wäre sie allein in der Kammer, dann suchte sie die Kerze …«
    Draußen hörte man die Geschichte nicht, sah aber, daß es eine Zote sein mußte; die Leute am Tisch, sogar die Damen, die anfänglich verletzt und errötet erscheinen mochten, wieherten vor Lachen, legten ihr Mundtuch ab, wie vorher der Fürst seine chinesische Maske, sie schoben sich von ihren vollen Tellern ein wenig zurück und krümmten sich, wieherten vor Lachen. Der Fürst aber, ermuntert von seinem Erfolg, erzählte weiter … Draußen biß ich auf die Lippe:
    »Merkst du denn immer noch nichts?« sagte ich zu mir, »merkst du denn immer noch nichts?«

    A n Peking zu denken, bald wag ich es nicht mehr. Unser Dasein ist kurz und Peking so weit! Am ersten Abend, als ich Bin an der chinesischen Mauer getroffen, schien es ganz nahe, eine Stunde vielleicht oder zwei oder drei, man sah doch die blinkenden Türme, die Dächer, die Brücken und kräuselnden Buchten, die Segel im Winde, die blauen Vogel darüber, die kreisen – wir gingen den Fußweg hinab, den nächsten, Bin futterte Beeren, und man sah, daß es Tagreisen sein würden. Noch of, nicht minder klar und wunderbar, sehe ich die Nähe seiner uralten Türme, seine Sonne über dem Meer, seinen blühenden Lotos! Plötzlich zweifle ich, ob mein Leben noch hinreicht.

    D as nächste Mal, als wir aufgebrochen, war es ein kühler Morgen; Bin hockte vorne am Bug, seine Beine pendelten über die Barke, und wir warteten lange auf den Wind, der uns hinübersegeln sollte; der morgendliche Nebel war verschwunden, und das Wasser, das ich so lange für ein Meer hatte halten wollen, lag wie ein glattes Glas, und keine Welle raschelte um unsere Barke. Immer noch oder schon wieder, wer weiß es, war es Herbst; sein Licht versank wie eine blinkende Münze in die grünliche Kühle der Seen, und das Netz seiner Spiegelung, noch geistert und zuckt es über unser besonntes Segel, aber seine Gluten sind lange verloren.
    »Sie sind so still?« sagte Maja, »und ich bin so jubelvoll glücklich! Denken Sie, nun ist es ja wirklich, o Freund, wir fliehen – ich bin noch nie, solang ich lebe, noch nie an jenem anderen Ufer gewesen, nie!« »Wirklich?«
    Bin rauchte seine Pfeife, er ließ es über seine Schulter räucheln, und Maja, die auf dem Rande der Barke saß und nach dem Wimpel blickte, der uns den Wind anzeigen sollte, sie saß und blickte, stumm, jubelvoll in Erwartung, ergriffen vom Abenteuer ihrer ersten Flucht: Maja mit der Zeit ihrer kindlichen Jugend, Bin mit der Zeit eines Geistes … So fahren wir hin.
    Denn ein wenig windete es nun wirklich. Was wird uns das andere Ufer schon bringen! dachte ich im stillen; hinter jedem Ufer, das aus dem Nebel tritt, schwebt ein nächstes. Ich glaube, ich werde älter; so jung schon fängt das an.

    E inmal saßen sie auf einer abendlichen
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