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Bin oder die Reise mach Peking

Bin oder die Reise mach Peking

Titel: Bin oder die Reise mach Peking
Autoren: Max Frisch
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Terrasse, Maja und der Mann, dem wir die Rolle eines erzählenden Ich überbürdet haben, um keine Namen nennen zu müssen, und es war schön, es war ein Ufer mit Bänken und Geländern, mit Laternen, mit Tafeln und Verboten, mit öffentlichen Blumen und Platanen und geschlungenen Weglein, mit Plakaten, mit langsam gleitenden Schwänen, mit einem Paradies von Teestuben, Sonnenstoren und bunten Sesseln aus geflochtenem Stroh; Kellner lehnten im Krähenschwanz ihrer Fräcke –
    Jemand nahm auch schon die Mäntel ab. Der Mann oder Herr – wir hätten ihn auch Kilian nennen können – benahm sich für Augenblicke ein wenig hilflos, so, indem er die Hände rieb, die Hände in seine Rocktaschen schob: man mußte nun, und wäre es auch nur dem beflissenen Ober zuliebe, einen Platz finden. Inmitten der vielen Leute. Maja überließ es ganz ihm. Auch in der unmittelbar folgenden Frage, was man bestellen sollte. Er hatte durchaus das Gefühl, es könnte Leute geben an diesem Ort, die ihn kennen. Das machte ihn zerstreut, so daß er immer wieder einmal das Gespräch unterbrach, sich umblickte, dann wieder lächelte … Maja ist schön, sie ist es in einer fast übermenschlichen Weise, wie jeder glückliche oder auch nur erwartende, ohne Zweifel erwartende Mensch … Man brachte ein Getränk, das Maja nicht kennen mochte; man sog es durch neckische Halme, und Maja, obschon sie schwieg und sich nur immerfort umblickte, fand alles sehr köstlich. War es das Land, das sie gemeint hatte? In den Palmen raschelte es gläsern. Ihre haarigen Stämme kamen aus Töpfen; dennoch waren es für Maja die ersten Palmen, und der Mann kaufe sich nebenbei eine Zeitung, ohne sie allerdings in der lieben Gegenwart eines Mädchens aufzuschlagen. Kaum daß er die ersten Titel überflog. Was mochte in der Welt geschehen? Er steckte es, was immer es sein mochte, in die Tasche. Maja spitzte ihren Mund, steckte den Halm in das Glas, und über die Hülpen hinweg, die sie knabberte, forschten ihre Augen nach allem, was sich an dem Orte begab, und blickte man in den Spiegel ihrer jugendlichen Miene, gab es fast keinen, der ihrem vergnüglichen Spotte entging. Ein Jüngling, der Zigaretten verkaufe, war der einzige, den sie nicht wieder anschaute, nachdem sie ihn einmal erblickt hatte; ihre Miene war kein Spiegel mehr, eine Weile lang, sondern Haut, warm und trocken, Wangen mit Flaum, Elfenbein über Blut … Um über die Ereignisse in der Welt zu sprechen, dachte der Mann, dazu fehlte ihrer Jugend nicht der Verstand, aber das erwachsene Bedürfnis, sich an einem größeren und allgemeinen Schicksal zu trösten, das uns die eigene Person ein wenig belangloser, die eigenen Versäumnisse ein wenig nichtiger macht. Er nutzte die Zeitung als willkommenen Fächer. Maja meinte:
    »Sicher sind Sie hier schon einmal gewesen, oder
ist es nicht so?«
»Warum?«
    »Mich verwundert hier alles und jedes –« »Gewiß«, kam er zuvor, »es erinnert mich an dieses und jenes. Die Erde ist so groß nicht, wie man meint; auch sie macht es mit Wiederholungen. Aber es ist doch immer anders, Maja – nichts kehrt uns wieder.« Maja nickte:
    »Sehen Sie, das glaube ich auch schon.«
    Und sie nickte gerade noch einmal.
    »Ja!« sagte sie entschieden, »das ist eigentlich das Schöne an allem, nicht wahr? Das macht es so aufregend, meine ich, so abenteuerlich, alles und jedes, nichts kehrt uns wieder, wie Sie sagen, noch diese Stunde, ein dummes Mädchen und Sie, ein erwachsener Mann, der alles schon einmal erfahren hat … Ach«, lachte sie plötzlich, »Sie sind ja so rührend, wissen Sie.« Er schwieg.
    »Was mögen Sie nur denken von mir!« sagte Maja, »ich stehle Ihnen den ganzen langen Tag, und Sie hätten sicher ganz andres zu tun, ernste und gescheite Dinge, was weiß ich … manchmal sind Sie so schauderhaf ernst.« »Finden Sie?«
    »Sie sagen so of: Seither sind Jahre vergangen,
und ich möchte so gerne einmal wissen, woran
Sie das eigentlich merken.«
»Woran?«
»Es muß doch komisch sein –«
    »Sehr. Man hat keine Ahnung, womit sie vergangen sind und was man eigentlich die ganze Zeit getan hat –«
    »Vielleicht geht es mir auch so, einmal.« »Vielleicht –«
    »Aber was ich wissen möchte: woran man es
denn merkt, wenn man älter wird?«
»Woran?«
Er besann sich.
    »Zuerst an den andern«, meinte er, »das zuerst. Die Jugend wird immer jünger. Das ist das eine …«
    Sie bestellten noch einmal ein Getränk.
»Und das andere?«
Er lächelte –
    Bald nach
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