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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp
Autoren: Martin Wehrle
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Arbeitsleben bestimmen können, statt nur geschubst und damit gestresst zu werden.
    Die Führungskraft, die sich kaputtarbeitet und vom frühen Herzinfarkt dahingerafft wird, ist ein lächerlicher Heldenmythos. Tatsächlich scheint oben in der Hierarchie die Sonne – und gestorben wird unten, im Tal der Deppen.
    Hamsterrad-Regel: Es ist Mitarbeitern gestattet, dieselbe Verantwortung wie Chefs zu tragen, aber es ist ihnen nicht gestattet, dafür dasselbe Gehalt zu verlangen!
    Momo und die Stundendiebe
    Angeblich war es ein Computerabsturz, der zu dem Drama führte. Die Mitarbeiter des kleinen Haushaltstechnik-Unternehmens hatten massenweise Überstunden gesammelt, 185 allein mein Klient Peter Heister. Die Auftragsbücher der Firma quollen über, doch die Reihen der Mitarbeiter wurden immer lichter. Offene Stellen ließ die Firma verwaisen, das Sparprogramm aus der letzten Krise lief weiter. Nur mit dem Lasso der Überstunden ließ sich die Tagesarbeit noch einfangen.
    Mehrfach hatte der Geschäftsführer versprochen, die Überstunden sollten »bei erster Gelegenheit« ausbezahlt oder mit Freizeit vergolten werden. Peter Heister hatte sich schon ausgerechnet, dass seine Überstunden einem kompletten Jahresurlaub von sechs Wochen entsprachen. Oder eineinhalb Monatsgehältern, plus Überstundenzuschläge.
    Doch dann kam die Hiobsbotschaft: Der Computer mit der Zeiterfassung sei abgestürzt. Nach Auskunft der Personalchefin waren die Arbeitszeit-Daten komplett zerstört und nirgendwo gespeichert.
    Peter Heister hatte ein »Stundenbuch« geführt und bot diese Aufzeichnung zur Rekonstruktion an. Die Personalchefin wimmelte ihn ab: »Das geht leider nicht. Niemand weiß, ob Ihre Aufzeichnungen richtig sind. Auch würden wir Mitarbeiter benachteiligen, die ihre Stunden nicht selbst erfasst haben.«
    Dieselbe Firma, die das Beweismaterial vernichtet hatte, erklärte die Ersatzbeweise für unglaubwürdig. Waren die Daten überhaupt weg? Warum gab es keine Sicherungskopie? Alle anderen Personaldaten waren noch vorhanden.
    Der Geschäftsführer ließ die Belegschaft wissen: »Leider können wir nicht rekonstruieren, wer wie viele Überstunden hatte. Deshalb biete ich Ihnen eine Woche unbezahlten Sonderurlaub an. Dieses Angebot gilt auch für alle, die weniger Überstunden hatten.«
    Nach Großzügigkeit sollte das klingen – doch es war ein Witz! Die meisten Mitarbeiter hatten 120 oder mehr Überstunden auf dem Konto gehabt. Der »Sonderurlaub« deckte nicht mal ein Drittel dieser Zeit ab! Nur die Führungskräfte, deren Überstunden im Gehalt enthalten waren, konnten sich schadlos aus der Affäre ziehen.
    Es kam zu langen Gesprächen zwischen der Geschäftsleitung und zwei ausgewählten Vertretern der Mitarbeiter (da es keinen Betriebsrat gab). Am Ende stand ein Kompromiss: sieben Tage Sonderurlaub für jeden. Die Firma machte ein großes Geschäft, entledigte sich mit einem Schlag ihrer Altlasten.
    Was aus dem »Sonderurlaub« wurde, erzählt Peter Heister: »Die viele Arbeit zwang uns weiter zu Überstunden. Ich wäre froh gewesen, wenn ich meinen regulären Urlaub hätte nehmen können. Vom Sonderurlaub ganz zu schweigen!«
    Die Zeitdiebe, die grauen Herren aus Michael Endes Roman »Momo«, sind umgezogen: Sie residieren jetzt in der Chefetage. Mit jeder Stunde, die sie einem Mitarbeiter entreißen, erhöhen sie den Profit der Firma. Am meisten Spaß machen ihnen die großen Raubzüge.
    Wie ein solcher Coup gelingen kann, hat eine Anwaltskanzlei vorgemacht. [21] Sie hatte einen jungen Juristen eingestellt und ihm die Perspektive auf eine Partnerschaft aufgezeigt. Aber erst müsse er sich bewähren.
    Der junge Anwalt hatte verstanden! Er trieb seinen Arbeitsmotor auf Hochtouren, weit über den Feierabend hinaus. Er wälzte Akten, dass es nur so staubte, verfasste einen Schriftsatz nach dem anderen. Und nach Feierabend eilte er zu Fortbildungen, um sich fit für die Partnerschaft zu machen.
    Der Arbeitstunnel, durch den er zwei Jahre ging, war lang und finster: 930 Überstunden leistete er, ein Leben fast ohne Freizeit. Diese Dunkelheit schien ihm nur erträglich, weil er am Ende das Licht einer Teilhaberschaft sah.
    Doch im Jahr 2008 stellte sich das als optische Täuschung heraus: Die Chefs meinten kühl, eine Partnerschaft sei nicht für ihn drin. Die 930 Überstunden schienen für die Katz.
    Der Anwalt fühlte sich mit einem falschen Versprechen gelockt und abgezockt. Er klagte gegen seinen Arbeitgeber. Die Inhaber zogen
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