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Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit

Titel: Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
Autoren: Justinus Kerner
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sein Garten, die Freuden, die ich da genoß, prägten sich meiner kindlichen Seele tief ein. Aus dem Ziehbrunnen im Hofe, sagte man mir, werden die Kinder geholt. Auf der Hausflur waren Hirschgeweihe, die mich sehr ergötzten. Vornen prangte das Haus mit einem Erker, der mir es schon von weitem bemerklich machte, hinter dem Hause war ein schöner, großer Garten, wo in den Buchsbaumhecken mich mehrmals die Ostereier von Glas und Zuckerwerk, mit neuen Kreuzern gefüllt, erfreuten.
    Mein Großvater liebte mich ungemein, und ich verlebte jedesmal bei ihm goldene Zeit. Leider war diese Wonne von kurzer Dauer. Die treffliche Konstitution dieses Elternvaters erlag unter seinen Geschäften, er wurde den Seinigen plötzlich durch einen Schlaganfall entrissen. Ich sah ihn nun in den unteren Zimmern des Hauses in der Bahre, eingehüllt in das weiße Leichentuch, eine Zitrone in den gefalteten Händen, auf dem Kopfe eine weiße Mütze mit Schleifen. Sein Gesicht war so fromm, so unentstellt, ich weinte die bittersten Tränen.« –
    Das Haus wurde an den Regierungsrat
Griesinger
verkauft. Er hinterließ zwei Töchter, von denen meine Mutter die älteste war. Söhne hatte er keine, und die anderen in
Württemberg
lebenden
Stockmayer
müssen in keiner nähern Verwandtschaft mit ihm gestanden sein.
    Eheliches Glück kann er nur kurz genossen haben: denn noch während der Kindheit ihrer Töchter verfiel die Mutter in Wahnsinn, und blieb es bis zum Tode.
    Die zweite Tochter verheiratete sich mit dem ehemaligen Erlangenschen Professor, nachherigen Stuttgarter Regierungsrate
Elsäßer,
verfiel aber bald auch in eine Melancholie. Sie soll sehr geistreich gewesen sein und Anlage zur Dichtkunst gezeigt haben. Sie gebar einen Sohn, Namens Christian, der in der Karls-Akademie erzogen werden sollte, aber wahnsinnig wurde und es bis ins Mannesalter, wo ihn der Tod erlöste, blieb. Ein zweiter Sohn, den sie gebar, legte sich auf die Heilkunde und wurde ein sehr geschätzter Arzt und Schriftsteller im Fache der Augenheilkunde. Die Stunden seiner Muße benutzte er für das ihm angeborene Talent zur Landschaftsmalerei. Er starb, geschätzt und bedauert von allen, die ihn kennen lernten, im Jahre 1813 zu Neustadt an der Linde, wo noch gegenwärtig ein Sohn von ihm die Zierde der vaterländischen Ärzte, besonders auch im Fache der medizinischen Literatur, ist. Neben diesen Söhnen gebar sie noch eine Tochter, die sich durch Geist und Bildung auszeichnete, und sich zu Stuttgart an den Sekretär
Hauff
verheiratete. Diese war in ihren früheren Jahren Nachtwandlerin, und der als Dichter bekannte
Wilhelm Hauff
ist ihr Sohn. Die jüngste Schwester meiner Mutter blieb unverheiratet, denn auch sie wurde wahnsinnig und starb in meinem elterlichen Hause zu
Ludwigsburg.
    Ich führe diese psychischen Zustände einzelner Glieder meiner Familie auch besonders deshalb an, weil daraus hervorgeht, wie Wahnsinn, Somnambulismus und Dichtkunst mit einander verwandt sind, und oft eins aus dem andern hervorgeht. Das Gefühlsleben herrschte bei meiner Mutter durchaus vor, aber nie erlitt sie eine Störung des Geistes, es erzeugte sich in ihr kein Wahnsinn, aber, wenn man mich so nennen will, doch in ihr ein Poete, und so war es auch bei
Wilhelm Hauffs
Mutter.
    Meine Eltern hatten, wie schon angeführt, außer mir noch drei Söhne, von denen zwei in ihrer frühesten Jugend in die Akademie nach Stuttgart gebracht wurden, der ältere zum Studium der Medizin und Chirurgie, der jüngere zum Studium der Militärwissenschaften. Der zweitälteste Sohn durchlief die in Württemberg gewöhnliche theologische Laufbahn.
     
Mein Bruder Georg
     
    Ich darf ihm wohl mit Fug eine Reihe von Blättern in der Geschichte meiner Jugend weihen, besonders da die Hauptepoche seines vielbewegten Lebens in dieselbe fiel, und ich auch schon als Knabe den innigsten Anteil an seinen Schicksalen nahm.
    Er war im April 1770 (auch in der Oberamtei zu Ludwigsburg) geboren. Er kam unzeitig, schon am Ende des siebenten Monats der mütterlichen Schwangerschaft, zur Welt. Der Vater konnte ihn mit den Fingern spannen, und sein Gewicht entsprach dieser Länge. Die Mutter hatte Kindszeug zurechtgemacht, sie mußte Puppenzeug nehmen, so klein war er. Eine kräftige Amme zog ihn auf. Es sind noch einige Blätter vorhanden, die den Anfang seiner Lebensgeschichte enthalten, die er seinem Sohne hinterlassen wollte; leider überraschte ihn aber damals der Tod. Er muß sein baldiges Herannahen gefühlt haben,
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