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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Interview mit mir gelesen und teilte mir in seiner sich ringelnden, kringelnden Schrift sein Entsetzen mit: »Warum reitest Du immer auf diesen jüdischen Sachen herum? Findest Du das wichtig? Du hast durch Deine Eltern nichts als Privilegien erfahren, und nun führst Du Dich als ewiges Opfer auf.«
    Das sei doch alles unehrlich und unwichtig, was ich da sagte und schrieb, nur Getue. »Ich habe Deine Entscheidung, nach den jüdischen Regeln leben zu wollen, respektieren müssen, mehr nicht. Ich empfand und empfinde es als befremdlich und als ganz fremd.
    Man muß jetzt den Kapitalismus bekämpfen, er führt sich schlimmer als je auf. Das ist wichtig!«
    Ablehnung und Unverständnis für meine Suche nach dem verlorenen Judentum hatte er mir ja schon lange zuverstehen gegeben, aber ich hatte lange, »leidenslustig«, wie meine Mutter das nannte, darüber hinweggesehen. Doch die S f äre der Poesie war nun wohl aufgebraucht, vielleicht irgendwo zwischen Venus, Jupiter und Mars vom Universum absorbiert.
    Ich faßte es so auf: A. mochte Juden nicht. Warum auch? Er hielt mich, wegen der Art, wie ich lebe, für krank, oder schlimmer noch, für eingebildet.
    Ich hielt ihn, wegen der Art, wie er nun sprach und dachte, für verloren in einer Ideologie und, schlimmer noch, für einen Antisemiten.
    Nach 26 Jahren und neun Monaten beendete ich unsere Korrespondenz. Ich zerschnitt das Band, aber ich habe kein Drama inszeniert, keine Aussprache gesucht, ihn auch nicht angeklagt. Ich habe einfach nicht mehr geantwortet, nicht mehr geschrieben, nichts mehr erklärt. Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen. Ich schwieg. Es hat mir damals nicht einmal weh getan. Und habe unser undefiniertes, ungeregeltes, ungenormtes und ewig ungelöstes Ich-weiß-nicht-Was von Bindung, das wir nicht Liebe, aber auch nicht Freundschaft nennen mochten, unter all den Briefen, Notizen, Zetteln, Traumblättern und Zeichnungen in der kalifornischen Keksdose begraben, auf der Worthley&Strong steht. Da hätte als Grabinschrift stehen können: Hier ruht stärker, größer, schöner, leidenschaftlicher, dunkler.
    Die Hoffnung auf Versöhnung hatte ich aufgegeben.
    Aber was heißt schon aufgeben.
     
    Von A.s Tod erfuhr ich aus der Zeitung.
    Es war mitten in der Ferienzeit, ich war für drei Wochen mit Yoav nach Österreich gefahren. Da las ich es eines Tages im Feuilleton, eine kleine Meldung. Natürlich konnte ich nicht glauben, was da stand, man kann es ja nie glauben, daß jemand gestorben ist.
    Aber er war doch noch gar nicht alt, oder?, sagte Yoav, als ich ihm die Seite zeigte. Ich sagte nein, nicht alt, wirklich nicht alt, so was in den Sechzigern. Hundertsechzigern, dachte ich, sagte es aber nicht. Das ist doch heutzutage viel zu früh zum Sterben.
    Später hat mich der Hauptdramaturg, den ich in Berlin wiedergetroffen hatte, angerufen und mir von den Umständen von A.s Tod berichtet.
    Eine schnelle Krankheit, ein schneller Tod.
    Er erzählte mir auch, wo A.s Grab zu finden sei, auf welchem Friedhof, und wer alles bei dem Begräbnis dabeigewesen war.
     
    Aber hatte mir A. nicht damals, als er aus Berlin wegging, gesagt, wir werden nicht auseinanderkommen, wir können uns gar nicht verlieren? Und hätte es nicht doch, auch wenn wir uns in der letzten Zeit immer mehr und immer öfter des gegenseitigen Unverständnisses und der Abwendung voneinander angeklagt hatten, noch ein unverhofftes Wiederverstehen geben können, so wie an dem Tag, als ich ihn anrief und wir neue Kleist-Pläne schmiedeten und herumalberten und alles Schwere zwischen uns wie ausgeräumt schien? Hätten wir die einzelnenTeile unserer Gegensätzlichkeiten nicht zueinanderfügen können?
     
    Erst in den langen Monaten der Trauer haben sich mir aus dem Nebel des Mißverstehens Bilder von A. enthüllt, wie ich sie nun mit mir herumtrage.
    Seine blauen Augen
    Sein blauer Pullover
    Seine langen Beine
    Gazelle, Giraffe, Antilope
    Fluchttier
    Wie er sich beim Fahrradfahren in die Kurve legte
    Wie er auf die Bühne sprang
    Wie er die drei Treppen in der Arthur-Becker-Straße
    hochrannte
    Wie er in kalten Kirchen Orgel spielte
    Wie er am ersten warmen Tag des Jahres voller Überschwang sofort das Futter aus seinem Trenchcoat riß und dann noch wochenlang frieren mußte
    Seine laute Stimme
    Sein liebevoller Blick
    Sein ironischer Blick
    Sein melancholischer Blick
    Sein Überdruß
    Seine Erwartung
     
    Aber heute weiß ich nicht mehr – unsere ungeregelte, ungelöste und
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