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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Universen voneinander entfernten, desto mehr bestand A. in seinen Briefen darauf, daß es zwischen uns keine Schranken geben sollte, so etwas wie eine »geregelte Beziehung«, »sozusagen genormte Menschenrechte«, wie er sich ausdrückte. Ich habe nie wirklich verstanden, warum das so seinmußte, aber ich nahm es hin, und in all den vielen Jahren wuchs das Ungenormte und vielleicht Unnormale auf eine irgendwie natürliche Weise einfach immer weiter, als hätte sich ein Teil meines Lebens irgendwann abgetrennt und bewegte sich ganz für sich, so wie manche Schlangen noch in abgetrennten Stücken ihres Körpers weiterschlängeln.
     
    »Hier ist es Mai … Bei Dir sicher auch. Wir sind uns ja einig, was wir von diesem Monat halten. Am Himmel sind abends ganz groß Venus, später Jupiter und Mars zu sehen, die vor einem Monat noch sehr dicht standen, jetzt aber schon wieder auseinanderstreben.
    Bis Januar bleibe ich hier. Dann Brüssel. Dann London. Dann Sommer. Ich hoffe, daß wir uns irgendwann hier oder dort oder im Sommer wiedersehen.
    Ich habe übrigens eine kleine Tochter gekriegt.«
     
    A. wechselte die Theater, er wechselte die Frauen und Adressen, aber immer teilte er mir seine neue Adresse zuverlässig und prompt mit, damit er im Briefkasten bald einen Brief von mir finden könne, wie er jedesmal sagte.
    Die einzige postwendende Antwort, die ich je von ihm erhielt, war die auf die Nachricht vom Tod meiner Mutter. Daß er an mich denke, an meine Mutter und an Wien, und wie er die Stunden mit ihr im Landmann genossen habe, und wie ähnlich ich ihr »trotz allem« sei. Er hatte ein Ginkgo-Blatt beigelegt, es mit einem Klebeband auf der Seite angeheftet, das sah eigentlich ein bißchenkitschig aus, aber es rührte mich doch. Was er mit dem »trotz allem« meinte, weiß ich bis heute nicht, aber ich habe mich gefreut, daß zwischen dem »Gewittergoi« und meiner Mutter noch eine späte Freundschaft entstanden war.
    Wir legten unseren Briefen oft noch etwas dazu. Einen Zeitungsausschnitt mit Anstreichungen, ein Blatt von einem Baum oder eine Blume, eine dumme Reklame, ebenfalls mit Anstreichungen, irgendein Fundstück, etwas Anspielungsreiches, eine zusätzliche Botschaft, und einmal legte mir A. sogar ein kleines goldenes Kettchen in den Brief, und in diesem Brief nannte er mich sogar wieder Prinz Jussuf, es war kurz vor »unseren« Geburtstagen, meinem und dem von Else Lasker-Schüler.
     
    Prinz Jussuf,
    in München ist Föhn, an einem azurblauen Himmel scheint schamlos die Sonne, aber am schlimmsten ist, daß ich jetzt schon über 200 Jahre alt bin und langsam das Gefühl verliere, überhaupt anwesend zu sein. Ich bin nicht glücklich, unglücklich leider auch nicht, wahrscheinlich also überhaupt nichts mehr.
    Neulich traf ich unseren alten Ostberliner Kollegen S. und fragte ihn, wie es ihm geht, und abgesehen von dem üblichen Schauspielerschmalz antwortete er schon wie ein richtiger Bundesbürger, »sehr gut«. Wenn man nämlich hier sagt, es geht einem schlecht, geht’s einem mit Sicherheit morgen noch schlechter, und wem’s schlecht- geht, der wird gemieden.
    Mir geht’s mittel.
    Deine Briefe lese ich alle mit Freude, aber ich bin sehr empfindlich, wie Du weißt. Im letzten Brief war ein »Naja« gegen Anfang drin, das mich sehr irritiert und mir den Brief fast verleidet hat. Nicht wegen Dir, sondern wegen mir.
    Es steht dann nämlich der »Nichtraucher« vor mir, mein verhaßter Doppelgänger.
    Es ist jetzt halb zwölf und morgen früh muß ich gnadenlos um halb sieben aufstehen, vor mir ein langer Probentag. Wohl wegen des Föhns habe ich die ganze Zeit Kopfschmerzen.
    Grüße aus München vom
    Mönch am Meer
     
    Der Nichtraucher hängt, ebenso wie der Rad f ahrer , jetzt hier in unserer Wohnung. Das Doppelporträt von A. und mir aber habe ich mit anderen Bildern, abgehängten und nicht vollendeten, ins »Depot«, das heißt in einen Schrank im Flur weggeräumt. Die Kopie oder das Original lebt bei meiner Freundin in Berlin weiter.
    Neulich stand Yoavs kleiner Neffe Raffael lange vor dem Rad f ahrer und fragte, warum der Mann die Hand an die Stirn drückt. Ich sagte ihm, er hat Kopfschmerzen, er hat oft Kopfschmerzen. Worauf der kleine Raffael sagte, seine Mutter habe auch oft Kopfschmerzen, aber dann fahre sie nicht Fahrrad.
    A.s Beine auf dem Bild vom Radfahrer scheinen mir mit der Zeit immer länger zu werden. Vielleicht aber istdas nur die Erinnerung daran, daß A.s Körper hauptsächlich aus
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