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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Nase und ist so gut wie unerkennbar.
    Ich sollte wohl über diese Verkleidung lachen und lachte auch, als ich ihn so auf dem Bild sah. Da hatte ich ihn schon so lange nicht mehr gesehen, daß ich sowieso nicht mehr richtig wußte, wie er aussah. Hinten auf das Foto hatte er geschrieben: »Endlich kenntlich und auf der Höhe!«
    Die Alpen, fand er, nachdem er nun schon einige Jahre im Westen lebte, seien das einzige, was der Westen dem Osten unbestreitbar voraushabe. Denn ansonsten sei der ganze Westen ja nur eine einzige große Enttäuschung. Wenn er nicht bergsteige, und das tue er ja nur einmal im Jahr, müsse er von einer Inszenierung zur anderen eilen, von einer Stadt in die andere und von einem Erfolg zum nächsten.
    Wie ihn das alles anstinkt.
    Wie er das jetzt alles haßt.
    Wie er das alles verachtet.
    Wie widerlich er das findet.
    Wie beschämend.
    Trostlos und einfach zum Kotzen.
    So sinnlos.
    Nur Anpasserei und Korruption herrscht da, nur Krachmachen zählt, Sich-durch-irgendwelchen-Quatsch-interessant-Machen. So klagte er.
    Und wenn er einfach aufhören würde? Wenn er allem entsagen, das Spiel nicht mehr mitspielen, sich verweigern würde? fragte er sich nun.
    In Moskau damals war das alles ganz anders, erinnerte er sich, das waren nicht alle nur selbsternannte Genies. Da gab es wenigstens eine echte Subkultur, die Leute hielten zusammen. Aber die meisten von ihnen waren ja jetzt ausgewandert. Oder gestorben, wie Wyssotzky.
    Er wolle am liebsten gar kein Theater mehr machen, schrieb er, lieber nur noch Opern inszenieren. Von Musik verstehe er etwas, er habe das absolute Gehör, und mit einem Dirigenten könnte man vielleicht noch richtig zusammenarbeiten, sich gegen das Krachmacher-Theater verbünden, denn die am lautesten von sich reden machten, hätten an der Oper nichts zu gewinnen. Und mit Theaterbeamtenmentalität komme man auch nicht weiter. Glaubte er wenigstens und hoffte er.
    Wegen all dieser Enttäuschungen müsse er zwischendurch immer in den Dolomiten klettern, um von deren Gipfeln auf all das Gerenne und Getue, die Gefallsucht und diese unerträglichen Eitelkeiten herabzuschauen. Doch wenn er da oben auf dem Gipfel stehe oder an einem Felsvorsprung am Seil hänge, überkomme ihn auch manchmal der Wunsch zu fallen, sich fallen zu lassen, einfach fallen zu lassen.
    Das schrieb er alles in dem Brief, in dem das Bild steckte, A. auf dem Gipfel der Marmolada, vergürtet, verschnallt, verspiegelt, verhüllt.
     
    Einmal entdeckte ich in einer französischen Zeitung eine große begeisterte Besprechung einer Operninszenierung von A. an irgendeiner wichtigen Bühne, schickte ihm denArtikel in einem Brief mit und gratulierte zu seinem Erfolg. Aber das hörte er gar nicht gern und antwortete mißmutig, ja, er habe jetzt meistens Erfolge, aber das sei nur deshalb wichtig, weil er sich ja auf dem Markt behaupten müsse, und auf dem freien Markt brauche man eben den Erfolg, um seinen Marktwert hoch genug zu halten, und er, damit er genug Geld verdiene, um nicht immer inszenieren zu müssen. Denn er würde gern noch ein bißchen nachdenken können und Zeit dafür haben, ohne zu hetzen und ohne den Druck, daß dabei etwas herauskommen müsse. Nachdenken und vielleicht auch etwas schreiben – über diesen schrecklichen Zustand unserer Welt, in der die Kunst sich sowieso langsam überflüssig mache.
    »Vor sehr langer Zeit schon hat Marx gesagt, Kunst ist Ware, und damit hat sie sich dann selbst erledigt. Die Alternative aber ist Esoterik, Isolation, Einsamkeit. Und das sind Formen des Verstummens, eine Art Kapitulation, letztlich Unterwerfung«, schrieb er.
    Immer öfter sagte er jetzt in seinen Briefen, daß er seinen Beruf verfluche und ihn am liebsten aufgeben möchte, und einmal schickte er auch einen größeren Essay mit, eben über den furchtbaren Zustand der Welt, in der es vor lauter Profitgier keinen Platz mehr für die Kunst gebe, wenn sie nicht seicht sein wolle. Er fürchte, schrieb er dazu, das liege vielleicht nicht ganz auf meiner Wellenlänge, doch dann solle ich »das Papier«, wie er seinen Essay mit dem gewöhnlichen understatement nannte, einfach in den Müll werfen. Es lag tatsächlichnicht auf meiner Wellenlänge, ich überflog es, verstand wenig von den Analysen und Feststellungen voller Zahlen und Worte, die ich vorher noch nie von ihm gehört hatte, und legte es weg. Natürlich warf ich es nicht in den Müll. Jetzt ruht es mit allen anderen Papieren in dem kalifornischen
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