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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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erlebte, als eine Art Krankheit an und berief sich dabei auf Freud, der die Religion als Neurose betrachte. Ich solle statt dessen doch lieber nach Berlin zurückkehren, dort würde ich jetzt gebraucht. Er wünsche sich, ich gäbe all das andere, das ihm so fremd sei und sich in Gefilden abspiele, in die er mir nicht folgen könne, wieder auf. In der DDR, bemerkte er ein andermal, habe es zwar keine Alpen gegeben, aber man habe wenigstens nicht über Juden und Antisemitismus reden müssen. Das sei besser gewesen. Und ich hätte bloß einen Spleen.
    Ja, so deutlich sagte er es jetzt. Er durchbrach unsere bis dahin eingehaltene Neutralität und desertierte aus der S f äre der Poesie. Manchmal setzte er allerdings hinzu, »vielleicht habe ich ja auch nicht recht«.
    Ich wiederum hielt alle diese Manifeste und Anklagen, die er glaubte mit mir teilen zu müssen, für den Ausdruck einer tiefen Lebenskrise und fand, es war A., der sich in Gefilde begab, in die ich ihm nicht mehr folgen konnte. Zum ersten Mal in all den Jahren schrieb er viel, und ich antwortete selten.
    Jeder hielt den anderen von einer unerklärlichenKrankheit befallen und wünschte ihm Heilung. Das Unverständnis konnte nicht größer sein. Aber noch immer hielten wir aneinander fest.

 
    Wie im echten Drama gab es kurz vorm Ende, im letzten Akt, noch eine Peripetie. Fast hätten wir uns noch einmal wiedergesehen. In Berlin. Fast.
    Ich war zu einem Literaturfestival eingeladen worden, das im Herbst dort stattfinden sollte. An verschiedenen Schauplätzen, unter anderem auch im Berliner Theater , sollte es Lesungen, Gespräche und Veranstaltungen geben. Es wäre doch interessant, wenn ich bei dieser Gelegenheit als alte Ostberlinerin über meine Erlebnisse und Erfahrungen sprechen würde, seit ich aus Berlin weggegangen war, sagte der Mann, der mich einlud, die Stadt habe sich seitdem so unglaublich verändert, und Künstler aller Kontinente, aus Paris, New York und Tel Aviv, kämen, um sich in Berlin niederzulassen. Als ich ihn so am Telefon mit dem vertrauten Berliner Klang sprechen hörte, bekam ich heftiges Heimweh und wünschte mich so schnell wie möglich nach Berlin zurück. Nicht, um zurückzukehren, sondern um den Trennungsschmerz zu besänftigen, Unabgeschlossenes vielleicht zum Ende zu bringen, das Krumme sozusagen geradezubiegen.Gleich am Telefon kam mir die Idee, bei der Gelegenheit noch einmal die zu DDR-Zeiten nur ein einziges Mal aufgeführte Kleist-Montage Dichter in Preußen vorzustellen, in einer szenischen Lesung etwa.
    Der Festivalleiter begrüßte die Idee, dazu brauchen wir aber jemanden, der das in die Hand nimmt, sagte er, am besten vom Theater, und ich sagte sofort, darum kümmere ich mich, ich weiß schon, wer das machen wird. Ich platzte vor Tatendrang und wollte sofort, ohne noch eine Minute zu warten, als sei es das Normalste von der Welt und als habe es nicht in den letzten Zeiten diese Entfremdung gegeben, A. anrufen. Alle Verstimmung war von der Freude über ein mögliches Wiedersehen, vielleicht sogar Zusammenarbeiten wie fortgespült.
    Ich kramte irgendeine Telefonnummer hervor, eine Frau kam an den Apparat, ich nannte meinen Namen, stammelte, um mich vorzustellen, etwas von »Freundin, Kollegin, ehemalige Mitarbeiterin« und sagte, daß ich A. dringend sprechen müsse, wo ich ihn erreichen könne. Die Frau gab mir seine Berliner Telefonnummer und erklärte, er müsse aber am nächsten Morgen sehr früh nach Bonn und habe schrecklich viel zu tun, viele wichtige Termine, sehr wichtige Termine, das wisse sie.
    A. war sofort am Telefon, als habe er den ganzen Abend auf meinen Anruf gewartet, obwohl wir doch überhaupt nur ein einziges Mal in all den Jahren miteinander telefoniert hatten, seit wir beide im Westen waren. Er tat gar nicht erstaunt über meinen Anruf, seine Stimme klang, wie sie immer geklungen hatte, kräftig und temperamentvoll,der Tonfall freudig und nicht, wie in seinen letzten Briefen, anklagend und streng. Sofort war auch er begeistert von der Möglichkeit, unser altes Kleist-Projekt noch einmal zum Leben zu erwecken, und zwar im Berliner Theater ,natürlich werde er das machen, eine phantastische Idee, wir machen das zusammen! Zu dieser Zeit sei er auch gerade in Berlin, der Termin passe wie die »Faust aufs Auge«. Er werde gleich ein paar Kollegen zusammentrommeln, vielleicht sogar einige von den damaligen Schauspielern, sagte er, sonst machen wir es eben unter uns, mit dem Dramaturgen, dem
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