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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Komponisten, unserer alte Kleist-Clique, die machen bestimmt mit, die freuen sich. Er steigerte sich, genau wie ich, in die mögliche Wiedergeburt unseres Dichters in Preußen hinein, wir überboten uns gegenseitig an Ideen, so wie damals, als wir unsere allerersten Kleist-Pläne geschmiedet und den eingeschlafenen Valentin verlassen hatten. Plötzlich erschien es uns ganz natürlich, daß es so hatte kommen müssen, wir lachten und alberten am Telefon herum und freuten uns über die späte Revanche. Das kann nur Kleist selbst aus seinem fernen Himmel eingefädelt haben, fanden wir, nun agiert er als Festivalleiter, wie Jupiter als Amphitryion. Wir sprachen in einem Überschwang von Einverständnis, Freundschaft und Nähe miteinander, waren übermütig und aufgeregt, ja verliebt, wie vor so langer Zeit, als A. gerade hundert geworden und ich fast noch eine Studentin war.
    Ich erinnerte ihn an seine »sehr wichtigen« Termine am nächsten Morgen, die ich gerade von der Frau in deranderen Stadt erfahren hatte, was er ja nicht wissen konnte, aber er tat, als wäre auch das ganz normal, daß ich über alles Bescheid wußte. Er fürchte nur, den Zug zu verpassen, sagte er, und darauf bot ich ihm an, ihn mit einem Anruf zu wecken, darüber lachten wir uns auch gleich wieder kaputt, allerdings lachten wir jetzt fast nur noch. Tatsächlich stellte ich mir den Wecker auf 5 Uhr 30 und rief durchs Telefon: »Aufwachen! Aufstehen! Frühstücken nicht vergessen! Nimmst du Käse oder Marmelade?«
     
    Im Herbst aber, kurz vor Beginn des Literaturfestivals, zerplatzte alles. Aus irgendwelchen Gründen kam die Lesung der Kleist-Montage wieder nicht zustande, ich weiß nicht einmal mehr, woran es lag, es waren wohl ganz profane, technische, organisatorische Gründe, keine Zensur oder sonstige politische Einmischung diesmal, aber es lief doch auf das gleiche hinaus wie vor 25 Jahren zu DDR-Zeiten. Genau an demselben Ort, im Berliner Theater , blieb der Dichter in Preußen wieder unaufgeführt. Eine Assistentin des Festspielleiters rief an und teilte es mir mit, sie wollte auch allen anderen Bescheid sagen, also A., dem Dramaturgen und dem Komponisten, die ich inzwischen alle mobilisiert hatte.
    Von A. hörte ich dann nichts mehr, gar nichts, als hätten wir nicht gerade noch große Pläne geschmiedet. Es wunderte mich, aber ich wagte nicht mehr, ihn anzurufen, ich konnte nicht verstehen, was geschehen war, und hatte meinen Elan und meinen Mut wieder verloren. DasFestival fand natürlich trotzdem statt, ich fuhr nach Berlin, nahm an Gesprächen und Lesungen teil, sah alte Freunde und Kollegen wieder, aber nicht A. Die Stadt, die ich vor vielen Jahren verlassen hatte, konnte ich an manchen Stellen überhaupt nicht wiedererkennen, an anderen aber war alles ganz unverändert, noch ganz DDR, hinter jeder Ecke mußte ich gewahr sein, entweder auf etwas völlig Verändertes oder etwas völlig Unverändertes zu stoßen, und diese Verschiebung von Zeiten und Lebensepochen, von wiedergefundenen oder zertrümmerten Erinnerungen brachte mich ganz durcheinander.
    A. hatte doch gesagt, er werde zur Zeit des Festivals in Berlin sein, ich hoffte und fürchtete also, daß er plötzlich irgendwo auftauchen würde, bei einer der Lesungen etwa, wie der Hauptdramaturg, der irgendwann in der ersten Reihe saß und sich freute, mich wiederzusehen, so wie ich mich auch freute. Auch er verstand nicht, wo A. geblieben war, er hatte ihn noch, kurz nachdem das Projekt abgesagt worden war, getroffen, und sie hatten beide bedauert, daß es nicht zustande kam, erzählte er, aber jetzt habe er schon eine längere Zeit nichts mehr von ihm gehört und ihn nirgends gesehen.
    Aus Stolz und weil ich gekränkt war, rief ich A. nicht an und fuhr auch nicht bei ihm vorbei, was ich ja hätte tun können. Einfach plötzlich vor seiner Berliner Wohnungstür stehen. Da bin ich, hallo. Doch ich hatte schon zu lange Zeit vorher keinen Brief und keine Nachricht mehr von ihm bekommen und auch selbst nichts mehr von mir hören lassen.
    Vielleicht war er krank. Vielleicht war er sehr krank. Aber diese Angst verwarf ich schnell. Er war doch so sportlich und gesund und hatte so lange Beine und nie im Leben eine Zigarette geraucht.

 
    Einige Wochen nach dem Berliner Festival erhielt ich noch einen letzten Brief. Ein Brief, der mich zur Verzweiflung und zum Verstummen brachte, wie einen Angeklagten, der sich unschuldig weiß und deshalb trotzig schweigt.
    A. hatte in einer Zeitung ein
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