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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten
Autoren: Tom Knox
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doch Anwalt werden sollen. Vielleicht hätte er wie die Hälfte seiner Londoner Freunde Banker werden sollen. Aber seine diversen Familientragödien, gepaart mit seiner Disziplinlosigkeit, hatten ihn von zu Hause fortgetrieben, so weit weg wie nur irgend möglich. Kaum achtzehn, hatte er gar nicht schnell genug aus England – und vor allem auch aus seinem eigenen Kopf – herauskommen können.
    Von da an hatte er nur noch ein Ziel gekannt: Reisen, Drogen und richtig gefährliche Abenteuer. Und alles nur, um die unauslöschlichen Erinnerungen loszuwerden. Bis zu einem gewissen Grad hatte diese Flucht ihren Zweck sogar erfüllt. Doch dann war er frontal gegen die Wand eines Beinahe-Bankrotts gefahren und hatte gemerkt, dass er einen Job brauchte. Und so hatte er sich in Erinnerung seines Kunstfaibles, das er schon als Kind gehabt hatte, aufs Fotografieren verlegt; hatte in Studios um Arbeit gebettelt, hatte sich das Handwerk mühsam selbst beigebracht, hatte sich gewissermaßen wieder ins reale Leben zurückgekämpft.
    Und irgendwann hatte er den Sprung ins kalte Wasser gewagt und sich für den Fotojournalismus entschieden – genau zu dem Zeitpunkt, als der Fotojournalismus möglicherweise gerade in seinen letzten Zügen lag.
    Aber was machte das schon? Er konnte seinen Job machen. Fotografieren.
    Eine braun gebrannte, barfüßige junge Australierin mit einem Fußkettchen schlenderte in einem winzig kleinen Bikini die Hauptstraße von Vang Vieng hinunter. Jake machte unauffällig ein Foto. Das Licht war schon sehr schwach. Er ging in die Knie und drückte noch einmal auf den Auslöser.
    Das Mädchen blieb stehen, um sich auf offener Straße zu übergeben, und im selben Moment fuhr ein gelb gekleideter buddhistischer Mönch auf einem Fahrrad vorbei. Jake machte noch ein Foto. Der groteske Auftritt des Mädchens überraschte ihn nicht im Geringsten. Zweifellos war sie eine von den vielen Jugendlichen, die sich Tag für Tag in Lkw-Reifenschläuchen den Fluss hinuntertreiben ließen. Denn das war die besondere Touristenattraktion von Vang Vieng.
    Jeden dunstig kühlen Morgen karrten Dutzende von Minibussen Dutzende von jungen Rucksacktouristen ein Stück den Fluss hinauf, um dann die Kids in ihren Badesachen, alle noch nüchtern und nervös und aufgeregt, am Flussufer abzusetzen. Dort bekamen sie in primitiven Hütten riesige, prall aufgepumpte Reifenschläuche, in denen sie sich den lieben langen laotischen Tag den Fluss hinuntertreiben ließen. Zwischendurch machten sie immer mal wieder an einer der Bars am Ufer halt, um sich dort mit Alkohol, Marihuana oder psychotropen Pilzen anzutörnen.
    Wenn die Flussfahrer dann am späten Nachmittag wieder in Vang Vieng ankamen, waren sie hackevoll, sonnenverbrannt und pubertär ausgelassen.
    Ein bisschen taten Jake diese Kids leid. Sie taten ihm leid, weil sie sich alle einbildeten, eine einzigartige und gefährliche Dritte-Welt-Erfahrung zu machen – obwohl es eine bestens organisierte Touristentour war, die allen jungen Westlern verkauft wurde, die scharenweise nach Vang Vieng strömten. Laos war abgelegen, aber so abgelegen auch wieder nicht. Diese »einzigartige« Erfahrung machten Tag für Tag Tausende.
    Doch zugleich beneidete Jake die Backpacker um ihre jugendliche Sorglosigkeit. Wäre er fünf Jahre jünger und fünfmal weniger verplant gewesen, hätte er sich auch in so einen Schlauch gesetzt und auf der Fahrt den Han Song hinunter so viel Bier in sich hineingeschüttet, wie seine Milz verkraftete. Ach was, er hätte sich auf einer Welle aus Kingfisher Lager und Crystal Meth bis nach Ho-Chi-Minh-Stadt treiben lassen.
    Aber er war kein junger Hüpfer mehr. Er war nicht mehr achtzehn oder einundzwanzig. Er war dreißig und hatte genügend ausprobiert. Und außerdem, wenn er jetzt Drogen nahm, vor allem bewusstseinsverändernde wie Thai Sticks oder Magic Mushrooms, kämen wieder die Erinnerungen an seine Schwester, den Autounfall und die anderen Schreckgespenster seiner Vergangenheit hoch. Deshalb ließ er die Finger davon.
    Das Tageslicht war inzwischen fast ganz erloschen.
    Die hübschen, ein bisschen tranigen einheimischen Mädchen, die in Flipflops auf ihren Mopeds durch die Stadt fuhren, hatten inzwischen das Licht eingeschaltet; die halbnackten Rucksacktouristen kauften von bauernschlau geschäftstüchtigen Frauen aus den Bergen Space-Cookies. Jake steckte seine Kamera ein und machte sich auf den Weg in die Kangaroo Sunset Bar.
    Ty war schon da. Tyrone McKenna. Der
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