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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos
Autoren: Sabine Thiesler
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kam.
    Vielleicht hatten ja auch schon andere die Szene beobachtet.
    Er fühlte sich wie auf dem Präsentierteller, aber die Typen beachteten ihn gar nicht. Wenn er sich jetzt entfernte, würden sie ihn bemerken, da war er sich sicher, also versuchte er weiterhin, still und unsichtbar zu bleiben.
    Die Typen boxten dem Mann ins Gesicht, in den Magen und in die Nieren und hielten ihn gleichzeitig am Mantel fest, sodass er nicht zusammenbrechen konnte. Das Blut lief ihm aus der Nase, und man sah, dass er sich aus eigener Kraft nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
    Der Mann war fertig, aber das interessierte die beiden Typen nicht.
    Einer zog ein Messer aus der Tasche und ließ es aus der Scheide schnellen. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte die Klinge im kalten Licht der Neonbeleuchtung auf, dann stach der Typ dem Mann das Messer in den Bauch.
    Dies alles war blitzschnell und völlig geräuschlos passiert.
    Der Mann fiel einem der beiden Typen in die Arme und hing dort wie ein schlaffer Sack, als ein Martinshorn zu hören war und immer näher kam. Offensichtlich hatte doch jemand die Polizei alarmiert.
    Der Angreifer zog das Messer aus dem Bauch des Mannes, ließ ihn fallen und kickte das Messer über den Bahnsteig. Es schlidderte weit.
    Dann flüchteten die beiden Typen.
    Das Messer lag nur einen halben Meter von ihm entfernt.
    Ohne zu überlegen, was er tat, stellte er seine Tasche darauf und sah sich um. Niemand war in der Nähe, und der Mann regte sich nicht.
    Er ging zu dem Verletzten, fühlte ihm den Puls, redete ihm Mut zu und kam sich dabei ungeheuer schäbig vor, weil er glaubte zu lügen. Immerhin war es möglich, dass der Mann jetzt, in diesem Moment, oder in wenigen Minuten starb.
    Sekunden später stürmten Polizisten den Bahnsteig, und augenblicklich brach Chaos aus. Schaulustige standen herum, der Notarzt kam und transportierte den lebensgefährlich Verletzten ab.
    Er wurde als Zeuge befragt, und als er seine Aussage gemacht hatte, ließ er unbemerkt das Messer in seiner Tasche verschwinden und ging nach Hause.
    Vom Kaiserdamm musste er eine Dreiviertelstunde bis zu seiner Wohnung laufen, aber das war egal. Er besaß ein Messer. Ein Springmesser, das vor einer Stunde noch in einem menschlichen Körper gesteckt hatte.
    Und dieses Messer war nun weg.
    Ihm wurde immer übler, und das Zittern wurde stärker.
    In der linken Jackentasche fand er das Handy. Er klappte es auf. Der Akku war fast leer, aber er konnte sehen, dass heute Samstag war, kurz nach halb elf.
    Ach ja. Gestern war Premiere gewesen. Romeo und Julia , richtig, und danach Premierenfeier in der Kantine. Zumindest das fiel ihm wieder ein.
    Erinnern konnte er sich noch an die ersten beiden großen Bier, die er hastig hinuntergeschüttet hatte. Während der Vorstellung hatte er auch schon Bier getrunken, aber dennoch ständig das Gefühl gehabt zu verdursten.
    Und dann? Wie lange hatten sie in der Kantine gesessen? Und war er mit den Kollegen noch weiter um die Häuser gezogen?
    Nichts. Da kam kein Bild mehr, keine Idee, keine Ahnung, was passiert sein könnte. Er hatte einen totalen Filmriss.
    Und wieder sah er vor sich seine Sachen und dieses verdammte Blut.
    Duschen, dachte er, ich muss duschen. Sonst fange ich noch an zu kotzen.
    Vorsichtig machte er einen Spaltbreit die Tür auf. Der Flur war leer. Es war auch vollkommen still in der Wohnung. Vielleicht war Lilo gar nicht zu Hause?
    Sie darf mich nicht sehen, dachte er, auf gar keinen Fall darf ich ihr begegnen.
    Noch einmal sah er sich um, dann schloss er seine Zimmertür ab, nahm den Schlüssel in die Hand und huschte ins Bad.
    Die heiße Dusche war wie eine Erlösung.
    Das warme Wasser lief an seinem Körper hinab und verschwand als blutig-blassrosa Rinnsal im Abfluss.

3
    Raffael hatte schon immer unter der Dusche besonders gut nachdenken können. Manchmal dachte er an überhaupt nichts, während er den warmen Duschstrahl genoss, aber heute überschlugen sich seine Gedanken.
    Er musste seine Klamotten loswerden. Sofort. Noch heute Vormittag. Innerhalb der nächsten Stunde. Bevor er in die Küche oder ins Theater ging. Die Gefahr, dass Lilo in sein Zimmer kam, weil sie irgendetwas von ihm wollte, war einfach zu groß.
    Das Beste war, die Sachen schleunigst wegzuwerfen. Sie in irgendeinem Neuköllner Hinterhof in eine Mülltonne zu stopfen. Dort, wo Messerstechereien an der Tagesordnung waren und sich niemand über eine blutige Jeans wunderte.
    Aber davor fürchtete er sich. So ein
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