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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast
Autoren: Gmeiner-Verlag
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oft, ins Grübeln kam. Wenn er die Kontoauszüge studierte, die Ordner mit den Lebensversicherungen und all den anderen regelmäßigen Auslagen, den Strom- und Wasserkosten, Telefon, Fernsehkabel und all die vielen Dinge, die es nun zu minimieren galt. Haftpflichtversicherung, Gebäudebrandversicherung, Rechtsschutzversicherung, das Lotterielos, die Vereinsbeiträge. Ganz zu schweigen von Grundsteuer und Kfz-Steuern. Hatten die in Berlin eigentlich eine Ahnung, wie schnell das Ersparte zusammenschmelzen würde? Jedes Mal, wenn er sich diese Beträge vorstellte, die regelmäßig von seinem Konto abgebucht wurden, kam er sich in die Enge getrieben vor. In eine bedrohliche Enge. Irgendwann, so spürte er, würde es einen Befreiungsschlag geben müssen. Aber gegen wen – und was?
    Hunderttausend Euro, die sie als Rücklage errechnet hatten, würden spätestens in 5 Jahren aufgebraucht sein. Das war realistisch, betrachtete man allein die steigenden Heizungskosten oder die angehobene Mehrwertsteuer. Vorbei der Traum von den Reisen. Australien würde er nie mehr wiedersehen. Dabei war es gerade dort so traumhaft schön gewesen. Und er hatte sich vorgenommen, spätestens beim Eintritt ins Rentenalter, dies noch einmal ausführlich zu genießen. Daran musste er jetzt denken, als er resigniert feststellte: »Wir gehn verarmt in die Rente.«
    Monika streichelte ihm übers dünn gewordene Haar. »Gerhard, wir werden das schaffen. Es gibt Menschen, die sind noch schlimmer dran.«
    Sie hatte recht, ja. Manche fielen gleich durch alle Raster, konnten nichts abschmelzen. Die rot-grüne Regierung hatte sie nun alle gleich gemacht – und dies als große Errungenschaft sozialer Politik verkauft. Mehr Gerechtigkeit. Und alle hatten applaudiert – von rechts bis fast nach ganz links. Doch er sah das anders, schon immer. Wer ein Leben lang geschafft und durch die treu und brave Einzahlung in die Sozialversicherungen einen gesicherten Lebensabend zu haben glaubte, wurde mit all jenen gleichgestellt, die kaum etwas oder gar nichts dazu beigetragen hatten. Nicht dass er jene hätte verhungern lassen wollen, aber er empfand es als eine riesige Ungerechtigkeit, der er und viele in seinem Alter und in seiner Position ausgesetzt wurden.
    »Weißt du, da steckt Methode dahinter«, begann er, drehte sich um und lehnte sich an den Fenstersims, »man setzt sogar die Rentengrenze nach oben, obwohl man natürlich sehr wohl weiß, dass man ab fünfzig keinen Job mehr kriegt. Also wirst du viel länger arbeitslos sein als bisher. Der Staat hat somit länger Zeit, dein Vermögen abzuschmelzen. Denn die Ganoven in Berlin wissen ja, dass sehr viel Geld auf den Sparkonten liegt – das muss weg, rein wieder in den Kreislauf, egal, wie. Verstehst du?«
    Monika sagte nichts. Sie sah es längst genauso. Sie fragte sich nur, wie lange sich das Volk solche Tricksereien noch gefallen ließ.
    Über der Albkante brach die frühe Dämmerung herein. Sie schwiegen sich ein paar Minuten lang an, während denen sie in seinen Armen lag und sich an seine Brust kuschelte. Sie wünschte sich, weit weg zu sein, irgendwo im Süden, wo das Leben einfacher zu sein schien – zumindest empfand sie es jedes Mal so, wenn sie im Spätsommer durch die beschaulichen Gässchen von Meran oder Bozen schlenderten.
    Auch wenn sie sich anschwiegen, war die Atmosphäre voll Harmonie. Ja, sie würden es schaffen, dachte Ketschmar. Er atmete tief ein. Denn unterkriegen, nein, das ließ er sich nicht.
    »Du hast das Auto nicht in die Garage gefahren?«, hörte er plötzlich wieder Monikas Stimme.
    »Ich muss noch ein bisschen raus«, seufzte er und schaute sie an, »ich fahr Eier holen.«
    Sie nickte verständnisvoll. Immer freitags fuhr er zum Steinberghof hinauf, wo es frische landwirtschaftliche Produkte gab. Zwar ein paar Cent teurer als in den Supermärkten, aber zum einen schätzten sie beide die Frische des heimischen Angebots und zum anderen entsprach es ganz und gar nicht Gerhards Philosophie, die großen Filialisten zu unterstützen, die ihm allein schon ihrer Personalpolitik wegen suspekt waren. Die Frage war nur, wie lange sie es sich noch leisten konnten, nicht nach dem allerbilligsten Produkt zu greifen. Bald würden sie die Zeitungsinserate bis auf den letzten Cent vergleichen müssen – sofern sie sich dann überhaupt noch eine Zeitung leisten konnten.
    »Frische Milch heut auch«, sagte Monika und versuchte ein Lächeln, »vielleicht baut dich der alte Georg wieder
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