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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast
Autoren: Gmeiner-Verlag
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er gesagt. Sie hatten noch Verantwortung gehabt, damals nach dem Krieg. Heute hatte dieses Wort eine ganz andere Bedeutung. Verantwortung nicht für die anderen, nicht mal für den Betrieb – sondern für sich selbst. Jedem war das Hemd näher als die Hose. Was scherte auch heute schon einen dieser kaltschnäuzigen Manager der Standort einer Firma? Standort war doch nur eine Frage örtlicher Steuern und billiger Arbeitskräfte. Das war frü­her anders gewesen. Zumindest in vielen Großbetrieben. Da saßen noch keine beliebig austauschbaren Manager, die dank ihres betriebswirtschaftlichen Studiums heute Autos und morgen Gemüse verkauften, die keine Ahnung von den Produkten, den Zusammenhängen und der Art und Weise hatten, wie sie herzustellen waren. Nein, damals, das waren noch Unternehmer, die sich mit ihrer Firma verbunden fühlten, die noch Wert auf Bodenständigkeit und den Erfahrungsschatz jener Menschen legten, die sich mit dem Betrieb identifizierten. In Geislingen, dieser Kleinstadt am Rande der Schwäbischen Alb, sprachen die Menschen einst von der Fabrik, wenn sie die WMF meinten, die Württembergische Metallwarenfabrik. Jeder, der was auf sich hielt, ging in die Fabrik. Sei es ins Büro oder in die Werkstatt. Und das Unternehmen fühlte sich auch noch ein bisschen für die Stadt und für die Kultur verantwortlich. Doch den Managern von auswärts waren diese Werte fremd. Dies allein ihnen anzulasten, wäre sicher unfair – sie haben sich einfach widerstandslos von dem ständig rauer werdenden Wind in Wirtschaft und Politik mitreißen lassen. Dieser Wind ist zum Orkan geworden und hat ein Trümmerfeld hinterlassen, das sich nur mühsam – wenn überhaupt – wieder aufbauen lässt. Doch anstatt festzuhalten, was noch zu retten wäre, gingen die Menschen verängstigt und eingeschüchtert in Deckung.
    Was blieb,waren die feurigen Kampfreden irgendwelcher Gewerkschafter, die jedoch selbst nie wirklich das Arbeitsleben kennengelernt hatten. Nein, der alte Schorsch hatte recht, jeder musste sich selbst befreien von diesen Schranken des gnadenlosen Egoismus. Wenn jeder resignierte, wenn jeder nur kuschte und an seiner Arbeitsstelle die Minuten bis zum Feierabend zählte, dann würde dieses Deutschland endgültig in den Status einer Bananenrepublik versinken.

4
     
    Vielleicht hatte er zu viel Most getrunken. Oder er war psychisch und physisch in einer derart schlechten Verfassung, dass der Alkohol wesentlich stärker wirkte als sonst. Er fühlte sich jedenfalls nicht gut, als er in der Garage aus dem Auto stieg. Er roch seinen eigenen Schweiß und hatte noch immer den Gestank von Mist und Gülle in der Nase. Zwar schätzte er dieses bäuerliche Idyll, doch manchmal hätte er sich dort oben im Umgang mit der Kundschaft ein bisschen mehr Hygiene gewünscht. Aus dem Stall kommen und ihm die Hand schütteln, das war etwas, dem er sich am liebsten entzogen hätte. Heute fühlte er sich sogar besonders schmutzig. Bevor er Monika gegenübertrat, musste er die Hände waschen. Er ging in den Nebenraum, ohne das Licht anzuknipsen, hielt die Hände unter den dortigen Wasserhahn und wischte sich mit dem feuchten Handtuch übers Gesicht. Dann nahm er vom Rücksitz des Autos die Schachtel mit den 30 Eiern, stellte sie im Flur ab und holte anschließend die Milchkanne, die im Kofferraum in einem Plastikkorb gegen das Umfallen gesichert war.
    Er spürte plötzlich, wie seine Knie zitterten. Im Garderobenspiegel wirkte sein Gesicht blass. Kreidebleich. Die Haare hingen ihm in Strähnen in die Stirn.
    »Was ist denn?«, hörte er plötzlich die Stimme seiner Frau hinter sich. Er erschrak und drehte sich um. »Scheiße«, entfuhr es ihm, »verdammte Scheiße. Ich hab beim Ausparken einen Holzstamm gestreift.«
    Monika sah ihn prüfend an. So blass hatte sie ihren Mann selten gesehen. Blass, nervös und aufgeregt. »Schlimm?«,
    fragte sie behutsam und roch seinen Atem. Er hatte Most getrunken, wie immer.
    »Nein, nicht schlimm«, erwiderte er und deutete ihr an, mit in die Garage zu kommen. Der silberfarbene Wagen war vorwärts eingeparkt. »Drüben«, erklärte er und zwängte sich zwischen alten Schränken am Kühler vorbei zur rechten Kotflügelseite hinüber. Monika folgte ihm.
    »Ist doch heutzutage nur noch alles Plastikgelumpe«, stellte er fest und deutete auf die zersplitterte Stoßstange.
    Seine Frau besah sich den Schaden nur kurz und wandte sich wieder ihrem Mann zu. »Ist doch wirklich nicht
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