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Bewegungswissenschaft

Bewegungswissenschaft

Titel: Bewegungswissenschaft
Autoren: Rainer Wollny
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so genannten Schwabbelmassen , bei plötzlich auftretenden Bewegungsänderungen (z. B. Stöße) jedoch ein vollkommen anderes Bewegungsverhalten als die starren Skelettknochen. Die Gewährleistung des Postulats der Ähnlichkeit zwischen den biologischen Eigenschaften des Menschen und dem Körpermodell verlangt die problemangemessene biomechanische Modellierung der Wirklichkeit, beispielsweise hinsichtlich des verzögerten Nachschwingens der Weichteile des Körpers und der anatomischen winkelabhängigen Gelenkanschläge.
    Die realistische Nachahmung der biologischen Charakteristika menschlicher Bewegungen ermöglichen mathematische Modelle oder abstrakte gedankliche Operationen. Das in Abbildung 92c schematisierte, computergestützte, fünfgliedrige Schwabbelmassenmodell von G RUBER , R UDER , D ENOTH und S CHNEIDER (1998) simuliert die Dynamik der Schwabbelmassen des menschlichen Körpers, indem die Skelettmuskeln, die Bänder, das Fettgewebe und die Haut als zusammengehörige, zylinderförmige Massekörperquasielastisch und stark gedämpft an das Skelettsystem gekoppelt werden. Die Festlegung der funktionalen Kopplungsform und der Größe der Kopplungsparameter der Schwabbelmassen erfolgt auf der Grundlage experimenteller medizinischer Daten. Für Bewegungen mit großen Beschleunigungen wie bei der Landung nach dem Salto vorwärts, dem Flick-Flack oder dem Weitsprung können G RUBER ET AL . (1998) anhand des dynamischen Schwabbelmassenkörpermodells aufzeigen, dass die Skelettknochen direkt abgebremst werden, während die Schwabbelmassen einige Millisekunden verzögert nachschwingen, um die hohen Reaktionskräfte in den Gelenken zu reduzieren.
    Eine weitere wichtige Eigenschaft des menschlichen Körpers besteht darin, dass der Bewegungsumfang der Körpergelenke durch den Gelenkkörper, die Bänder, die Muskeln, die Weichteile, oder beim Ellbogen- und Fußgelenk, durch die elastische Knochenhemmung anatomisch begrenzt wird. Wirklichkeitsnahe Körpermodelle müssen winkelabhängige Gelenkanschläge derart simulieren, dass ein Durchschlagen der modellierten Gelenke oder ein gegenseitiges Durchdringen der Starrkörper eines mehrgliedrigen Segmentmodells verhindert wird.
    Insgesamt können biomechanische Gesamtkörpermodelle des sporttreibenden Menschen – die alle Aspekte seines Funktionierens, seiner Körperstruktur und seiner organismischen Materialeigenschaften exakt wiedergeben und deren Simulation sich noch handhaben lässt – mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Kenntnissen und technologischen Mitteln noch nicht zufrieden stellend realisiert werden.
4.2 Welches sind die zentralen Arbeitsschritte der Modellierung im Sport?
    Die kurz gefasste Einführung in die Grundlagen der biomechanischen Modellbildung orientiert sich am Standardwerk „Grundlagen der Biomechanik des Sports“ von B ALLREICH und B AUMANN (1982, 1996). Im Mittelpunkt stehen vier grundlegende Arbeitsschritte der Modellmethode: die Problemformulierung (Kap. 4.2.1), die Modellkonstruktion (Kap. 4.2.2), die Modellüberprüfung (Kap. 4.2.3) und die Modellsimulation (Kap. 4.2.4; vgl. Abb. 93 ).

4.2.1 Wozu dient die Problemformulierung?
    Der erste Arbeitsschritt der biomechanischen Modellbildung umfasst die Problemformulierung : Was soll das Modell abbilden (Modelloriginal)? Für wen wird das Modell erstellt (Nutzer)? Wozu soll das Modell dienen (Modellzweck)?
Das Modelloriginal betrifft den sporttreibenden Menschen hinsichtlich der disziplinspezifischen Bewegungstechniken, der motorischen Basisfähigkeiten, des Körperbaus oder der Belastbarkeit des Bewegungsapparats.
Als Hauptnutzer biomechanischer Modelle gelten Sportwissenschaftler, Sportmediziner, Orthopäden, Trainer, Sportlehrer, Physiotherapeuten und Athleten.
Der Modellzweck umfasst die Analyse, die Beschreibung, die Erklärung, die Optimierung, die Wissensvermittlung oder die Vorhersage sportmotorischer Leistungen. Ein anschauliches Beispiel für den Modellzweck liefert das biomechanische Hochsprungmodell von M ÜLLER (1986) zur Analyse konkurrierender Bewegungstechniken und zur Optimierung aufgabenangepasster Bewegungslösungen ( vgl. Abb. 94 ).

    Abb. 94: Lattenüberhöhung in Abhängigkeit von der Hochsprungtechnik (mod. nach M ÜLLER , 1986, S. 48)
    (H L : Sprunglattenhöhe; H max : Höhe des Körperschwerpunkts; H 3 : Lattenüberhöhung; •: Körperschwerpunkt)
    Anhand des biomechanischen Kennwerts „Lattenüberhöhung“ vergleicht M ÜLLER verschiedene Hochsprungtechniken
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