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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst
Autoren: James Preller
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Jude nickte. Trotzdem fand er es ziemlich cool, dass das Bier hier einfach so aus den silbernen Hähnen floss. Jude mochte Bier nicht unbedingt, auch wenn er das nie zugegeben hätte. Er vermutete, dass es vielen Typen so ging, wenn sie zum ersten Mal Bier tranken – verlogen wie Falschgeld standen sie rum und taten, als würde es ihnen schmecken. Obwohl er schon ein paarmal die Gelegenheit dazu gehabt hatte, hatte er bisher darauf verzichtet, sich volllaufen zu lassen und sich hinterher die Seele aus dem Leib zu reihern. Vermutlich hatte er es zwar im Blut, eines Tages lallend und mit Kotze im Gesicht rumzutorkeln, doch eilig hatte er es garantiert nicht damit. Jude war nicht scharf darauf, die Kontrolle zu verlieren, gegen Sachen zu stoßen, mit dem Gesicht nach vorn hinzufallen. Er dachte an seine Mutter. Sie hatte seit sechs Jahren keinen Tropfen mehr angerührt. Aber er konnte sich noch gut an die Zeit davor erinnern. Mom und ihre Cocktails. Sie trank damals nicht zum Spaß – ums Vergnügen ging es der guten alten Mom nicht –, und das Ende war immer ziemlich unschön.
    »Fast hätt ich’s vergessen«, sagte Jessup. »Hier sind eure Hüte. Die müsst ihr immer aufhaben, wenn ihr an der Theke arbeitet.«
    Er reichte den beiden zwei flache, gefaltete Gegenstände aus dickem, weißem Papier. Roberto zog das Ding auseinander und setzte es auf. Der Hut saß nicht besonders gut auf seinem Quadratschädel. Er beäugte sein Spiegelbild in einem Glaskühlschrank.
    Jude musste lachen. »Sieht ziemlich beknackt aus, Alter.«
    »Soll das ein Witz sein?« Robertos Miene hellte sich auf. »Bei einem Typen wie mir, mit so einem Gesicht? Dieser Hut zieht die Mädels an wie ein Magnet. Wenn die mich in diesem Hut sehen, denken sie: Dicker mit Papierhut, so was brauch ich unbedingt. Die Sache ist gelaufen, Jungs. Ich werde heute den ganzen Tag neue Nummern in mein Handy eintragen.« Um seine Aussage zu unterstreichen, tippte er mit dem Zeigefinger in die Handfläche.
    »Lass uns noch ein paar Mädels übrig, ja?« Jessup wurde nun doch ein bisschen lockerer.
    Jude hielt den Hut von sich weg. »Müssen wir das wirklich tragen?«
    »Wir sind hier in der Gastronomoie.« Jessups Lächeln verschwand. »Der Kopf muss bedeckt sein. Das ist gesetzliche Vorschrift.«
    »Und wenn ich, was weiß ich, eine Baseballmütze aufsetze?« Jude schwenkte den Hut. »Oder meinetwegen irgendwas …«
    »Ach, du meinst, um deine Individualität zu betonen?« Jessup zog die Augenbraue hoch. »Wär dir vielleicht ein rotes Barett recht? Damit du dich von der Masse unterscheidest?«
    »Eigentlich dachte ich bloß an was weniger Vollspackenmäßiges«, antwortete Jude.
    Jessup lachte. »Setz den Papierhut auf, Mr. Fox, und willkommen in West End Two.«

4
    Die nächsten Stunden brandeten wie eine große Welle heran, ein echter Tsunami neuer Aufgaben. Das Arbeitsteam wuchs – ein buntgewürfelter Haufen von Weißen, Schwarzen und Latinos, alle jung, alle mit Papierhut –, und bald waren sie total überfordert von den Wünschen der hungrigen, sonnengeküssten Horden. Die Kunden strömten in Scharen herbei, gebräunt und muskulös, hinreißend und schlank, dick und im T-Shirt, und alle wollten Burger, wollten was zu trinken, wollten bedient werden, sofort, sofort, sofort.
    Längere Zeit hing Jude gebeugt über dem Hamburgergrill neben einem erfahrenen Arbeiter, Billy Motchsweller, kraushaarig und spindeldürr, mit blitzschnellen, koffeinbeschwingten Händen. Jude lief der Schweiß übers Gesicht und rieselte von seiner Nasenspitze wie aus einem tropfenden Wasserhahn. Auf Billys Anweisung hin hetzte Jude nach hinten, um Burger und Tabletts mit Brötchen zu holen. Aber er hatte keine Ahnung, wo die Sachen gelagert wurden, irrte herum, verplemperte Zeit, verschätzte sich, und Billy wurde sauer. »Nein, nein, nicht die Burger, Blödmann. Die sind noch hart gefroren.« Zur Veranschaulichung nahm er zwei Frikadellen und hämmerte sie aneinander. »Geh zum hinteren Kühlschrank, nicht zum Gefrierschrank vorn. Da müssen Burger sein, die letzte Nacht aufgetaut sind …«
    Jude nickte. Er trabte los und bemühte sich ernsthaft, keinen Murks zu machen. Doch er stieß mit jemand zu sammen, schlug einem anderen das Getränk aus der Hand, rutschte über den fettigen Boden, bis er ganz durcheinander und blöd im Kopf war. Natürlich hatte sich Billy getäuscht; gestern Abend hatte niemand mehr daran gedacht, Kisten vom Gefrierschrank zum Kühlschrank zu schleppen
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